Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
Großvater schon kannte. Logo. Trotzdem saugte ich ihr Wort für Wort von ihren vollen, schön
geschwungenen Lippen. Ich hängte mich an ihre langen, seidigen Wimpern und fühlte mich von den feinen Härchen gekitzelt wie
von einer leichten Daunenfeder. Ich fuhr ihre kleinen Ohrmuscheln nach und erkundete jeden Millimeter ihresHaaransatzes im Nacken, der eine M-Form bildete. Ich hockte mich in ihre Halsbeuge, schielte in ihre Glockengasse und kuschelte mich in die kleine Kuhle über ihrem
Schlüsselbein. Dabei entging mir kein Wort, das sie sagte. Ihr Akzent war so minimal, dass man ihn nicht bemerkt hätte, wenn
man sie nicht mit Viktor gemeinsam erlebte. Ihre Stimme war dunkel, genau wie ihr Lachen, das die Kuhle leicht vibrieren ließ.
Ich habe das schrille Gekreische der überdrehten Weiber noch nie leiden können.
»Hast du genug Geld, Irina?«, fragte Viktor.
»Natürlich«, erwiderte sie schnell. »Du weißt doch, dass es mir an nichts fehlt.«
Viktor nickte erleichtert, war wieder einmal »säääähr stolz«, und ich war sprachlos. Eine Tussi, die genug Geld hat, gibt
es eigentlich gar nicht. Das ist evolutionstechnisch eine total neue Art. Sollte ich jemals in den Himmel finden und Charles
Darwin treffen, muss ich ihm das erzählen.
Meine Begeisterung wuchs ins Unendliche. Ich vergaß alles um mich herum, hatte nur Augen und Ohren für Irina, die Schöne,
Irina, die Edle, Irina, die Reine. Andere Weiber waren auch okay. Katrin war eine heiße Braut, Birgit echt in Ordnung, aber
Irina war ein Engel. Und ich war mir ganz sicher, dass der liebe Gott oder wer auch immer sie nur für mich geschickt hatte.
Zweimal wurden Viktor und Irina unterbrochen. Einmal brachte die Polizei einen Neuzugang, ein andermal kam ein Bestatter.
Der Bestatter glotzte Irina mit einer ekelerregenden Geilheit im Blick an. Fast hätte er sich vollgesabbert. Oben und unten,
wenn Sie verstehen, was ich meine. Das würde als Andeutung voll und ganz ausreichen, sagt die Lektorin.
»Verpiss dich, du Kompostwurm«, brüllte ich ihn an.Die Lektorin notierte am Manuskriptrand, dass ich sicher den Käfer namens Totengräber meinte und nicht den Kompostwurm, aber
ich schreibe hier keine Neufassung von ›Brehms Tierleben‹, damit das klar ist. Der Kerl ging mir mit seinem triefenden, lechzenden
Blick einfach auf den Sack.
Viktor ließ ihn das Mietformular ausfüllen, Irina half ihm beim Übertragen der Kühlfachnummer von der Liste der verfügbaren
Fächer auf das Formular, strich die Nummer auf der Liste durch, und Seite an Seite begutachteten sie das Einräumen. Den Sarg
musste der Wurm wieder mitnehmen. Sarglager kostet extra.
All das interessierte mich nur am Rande und in dem Maße, in dem Irina ihrem Großväterchen half. Was für eine Frau! Als sie
gegen Mitternacht den Keller verließ, ging ich mit ihr, begleitete sie durch die dunklen Straßen, fuhr mit ihr fünf Stationen
mit der Straßenbahn, flog neben ihr her, während sie mit festen, ausladenden Schritten nach Hause ging, und hockte an ihrem
Bett, als sie einschlief. Dann düste ich aufgewühlt durch die Stadt, die mir auf einmal schmutzig, laut und voller niederster
Triebe erschien. Ich hingegen schwelgte in reiner, strahlend weißer Liebe. Mir war nach – Poesie zumute. Es musste Worte geben,
um meine Gefühle zu beschreiben. Um Irinas Schönheit zu beschreiben. Worte, die ich ihr irgendwann einmal gern sagen oder
schreiben würde. Ich düste zu Martins Büro.
Wie immer hatte er seinen Computer nur auf Standby geschaltet und das Headset parat gelegt. Ich dachte den vorgesehenen Befehl,
der den Computer startete und die Sprachsoftware aktivierte: »Wach auf!«
Dann erstellte ich eine neue Textdatei, nannte sie IRINA und starrte auf das leere Blatt.
»Ein Engel aus dem Himmel, mir regt sich was im …«,war meine erste Idee, aber die verwarf ich gleich wieder. Das war nicht rein genug.
»Irina, meine Schöne, wie Engelsflötentöne, ist deine Stimme mir.«
Schon besser.
Ich textete stundenlang und brachte doch nichts zustande, was ich so gut fand, dass ich es ihr hätte vortragen wollen. Oder
vortragen lassen, denn mich kann sie ja nicht hören. Oder ihr schreiben. Etwas ernüchtert verließ ich das Büro und verbrachte
die Stunden bis zu Martins Dienstbeginn in einer seltsamen Unruhe, die mich durch die ganze Stadt trieb. Ich kannte mich selbst
nicht mehr. Ich war verliebt.
VIER
»Du musst mir einen Gefallen
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