Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
tun«, sagte ich zu Martin, sobald er ins Büro kam. »Du musst …«
»Gar nichts muss ich«, konterte Martin.
Manchmal ist es wirklich ermüdend, immer auf jemanden wie Martin angewiesen zu sein. Jetzt zum Beispiel.
»Es ist wirklich eine absolute Ausnahmesituation«, sagte ich. »Ich … ich hab mich verliebt!«
Er stockte mitten in der Bewegung.
»Verliebt?«
Er fragte so schockiert und ungläubig, als würde er mir jegliche Sensibilität absprechen. Als wäre ich ein Fetzchen Nebel,
das im Herbst über einer Wiese steht und sich auflöst, wenn die Sonne draufscheint.
Aber ich bin Pascha, ein Mann in der Blüte seiner Jahre und, im Gegensatz zu Martin, nicht durch eine hormonelle Triebstörung
gezeichnet. Ich hatte mich verliebt. Normal, oder?
Martin hatte meinen entrüsteten Gedankenwirbel wohl mitbekommen, denn er fragte mit dieser aufgesetzten Freundlichkeit, die
er gern anschlägt, wenn ich wütend bin: »In wen?«
»Irina«, flüsterte ich. Sang ich. Jubilierte ich.
»Irina?«
»Die Enkelin von Viktor. Sie leistet ihm abends ein paar Stunden Gesellschaft, wenn er den Nachtdienst im Keller antritt.
Sie kocht ihm Tee …«
Nie hatte mir eine Frau Tee gekocht. Jedenfalls nicht mehr, seit meine Mutter versucht hatte, meinen ersten Vollrausch, den
ich mit zwölf hatte, mit einem Kamillentee zu kurieren. Ich hatte das pissgelbe, lauwarme Wasser durchs ganze Zimmer gekotzt.
Martins graue Zellen arbeiteten Sonderschichten. Ist sie Single?, dachte er. Ist es denkbar, dass Pascha sich dauerhaft an
diese Frau hängt? Kann ich ihn auf diese Weise loswerden? Das war natürlich kompletter Schwachsinn, denn solange ich mit niemandem
außer Martin kommunizieren kann, werde ich notgedrungen viel Zeit mit ihm verbringen. Ist ja sonst total öde. Aber ich hielt
mich sehr zurück, damit er meine Gedanken nicht lesen konnte.
»Also, was willst du von mir?«, fragte er. Er klang nicht mehr so ablehnend wie eben noch.
»Du musst alles über Irina erfahren, was man nur wissen kann«, sagte ich. »Und über Viktor. Jedenfalls soweit es Irina betrifft.
Also: Woher kommen die beiden, hat Irina noch Eltern, seit wann sind sie hier, hat sie einen Freund? Hatte sie mal einen?
Warum hat sie ihn abserviert? Was mag sie gern – schnelle Autos, Schokolade, Krimsekt … Alles!«
Martin hatte die Augenbrauen gerunzelt und versuchte, sich alles zu merken. »Aber wenn sie nur abends oder nachts da ist,
dann sehe ich sie doch gar nicht«, wandte er ein.
»Dann komm einfach heute Abend mal vorbei«, sagte ich.
Martin seufzte. »Aber heute ist Freitag und ich wollte mit Birgit …«
»Ein andermal«, unterbrach ich ihn.
Er dachte kurz nach, sah aber schnell ein, dass er mich am ehesten loswird, wenn er mir die gewünschten Informationen so fix
wie irgend möglich besorgte, und stimmte zu. Ich dagegen erinnerte mich daran, dass Irina diese seltsame Nach-dem-Studium-Ausbildung
zur Ärztin an der Uniklinik machte, und düste dorthin.
Ich fand Irina nicht. In einem derartigen Haufen von Menschen, in diesem Gewimmel und Gewusel, die Hälfte von denen in Kittel
und mit Mundschutz, wie zum Teufel soll man da eine einzelne Frau finden? Wenn man überhaupt nicht weiß, wo man suchen soll?
Ich düste durch jeden Flur, in jedes Krankenzimmer, in einen Operationssaal, aber da spritzte das Blut durch mich hindurch,
was ich eklig fand, also schaltete ich mich schnell wieder weg. Ich war hin und her gerissen. Einerseits suchte ich ihre Nähe,
andererseits war das hier wirklich die totale Hölle. Ich wusste, dass Martin und Katrin heute drei Obduktionen auf dem Plan
hatten, also zischte ich in den Keller der Rechtsmedizin, um zu schauen, was da so abging.
Auf jeden Fall ging Katrin ab, und zwar wie eine Rakete. »Ich werde eine Beschwerde an den Staatsanwalt schreiben und verlangen,
dass das Sparschwein sofort von hier verschwindet, und wir wieder einen vernünftigen Chef bekommen«, keifte sie in Martins
Richtung, während sie ein Kühlfach derart heftig zuknallte, dass ich mir gar nicht vorstellen mochte, wie die Leiche darin
hin und her geworfen wurde. Vermutlich knallte sie gerade von dem Rückstoß mit dem Schädeldach ans Kopfteil. Und bei der Obduktion
würde dann der Obduzent eine »Gewaltein wirkung post mortem mit einem stumpfen Gegenstand ähnlich einem Brett« feststellen.
Martin stand mit einer Liste in der Hand an einem anderen Kühlfach, das er gerade aufgezogen
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