Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
feiern. Ich kaufte auch Brot …
Semjon Aleksejewitsch war erregt und erfreut.
»Ja warum denn ich? Mit welchem Recht?«, murmelte er, außerordentlich bewegt. »Nein nein, ich kann nicht …«
Aber ich überredete ihn, und freudig lief er nach kochendem Wasser.
Und sofort stürzte ich von einem schrecklichen Schlag auf den Kopf auf den Boden.
Als ich hochfuhr, war die Tasche mit Butter und Brot nicht mehr da. Bei der Bettstelle lag das Lärchenscheit, einen Meter lang, mit dem sie mich niedergeschlagen hatten. Und rundherum lachten alle. Schejnin kam mit dem Wasser gerannt. Später konnte ich viele Jahre nicht ohne schreckliche, fast schockhafte Erregung an den Diebstahl denken.
Semjon Aleksejewitsch – ist tot.
Tot ist Iwan Jakowlewitsch Fedjachin. Er und ich sind mit demselben Zug, auf demselben Dampfer gekommen. Wir kamen ins selbe Bergwerk, in dieselbe Brigade. Er war ein Philosoph, ein Bauer aus Wolokolamsk, der die erste Kolchose in Russland gegründet hatte. Die ersten Kolchosen wurden bekanntlich in den zwanziger Jahren von Sozialrevolutionären gegründet, und die Gruppe Tschajanow-Kondratjew vertrat ihre Interessen »oben« … Iwan Jakowlewitsch war so ein dörflicher Sozialrevolutionär – einer von der einen Million, die 1917 für diese Partei stimmte. Für die Gründung der ersten Kolchose bekam er eine Strafe – fünf Jahre Haft.
Irgendwann ganz am Anfang, im ersten Kolyma-Herbst 1937, arbeiteten er und ich an der Lore – wir standen am berühmten Gruben-Förderband. Es gab zwei Loren, abkuppelbar. Während der Pferdetreiber die eine auf die Waschvorrichtung fuhr, schafften es zwei Arbeiter kaum, die andere zu füllen. Zum Rauchen hatten sie keine Zeit, und die Aufseher erlaubten das auch nicht. Dafür rauchte unser Pferdetreiber – eine riesige Selbstgedrehte, aus fast einem halben Päckchen Machorka (Machorka gab es damals noch), und hinterlegte uns am Rand der Schürfgrube einen Rest für einen tiefen Zug.
Der Pferdetreiber war Mischka Wawilow, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Trusts »Industrieimport«, und die Schürfarbeiter Fedjachin und ich.
Während wir ohne Eile Erde in die Lore schaufelten, sprachen wir miteinander. Ich erzählte Fedjachin von der Lektion, die man den Dekabristen in Nertschinsk erteilt hatte – nach den »Aufzeichnungen der Marija Wolkonskaja« drei Pud Erz pro Person.
»Und wie viel, Wassilij Petrowitsch, wiegt unsere Norm?«, fragte Fedjachin.
»Ich habe es überschlagen – ungefähr 800 Pud.«
»Sehen Sie, Wassilij Petrowitsch, wie die Normen gestiegen sind ...«
Später, während des Hungers im Winter, verschaffte ich mir Tabak – ich erbat ihn, hortete, kaufte ihn – und tauschte ihn gegen Brot. Fedjachin missbilligte meinen »Handel«:
»Das steht Ihnen nicht, Wassilij Petrowitsch, Sie sollten das nicht tun …«
Das letzte Mal habe ich ihn im Winter in der Kantine gesehen. Ich hatte ihm sechs Mittagessentalons gegeben, die ich an diesem Tag für das nächtliche Abschreiben im Kontor bekommen hatte. Meine gute Handschrift half mir manchmal. Die Talons verfielen – sie hatten Datumsstempel. Fedjachin hatte die Portionen bekommen. Er saß am Tisch und goss die dünne Brühe von einem Napf in den anderen, die Suppe war extrem flüssig, und kein einziges Fettauge schwamm darauf … Die Schrappnellgrütze von sämtlichen sechs Talons füllte nicht einen Halbliternapf … Einen Löffel hatte Fedjachin nicht, und er leckte die Grütze mit der Zunge aus. Und weinte.
Tot ist Derfel. Das war ein französischer Kommunist, der auch in den Steinbrüchen von Cayenne gewesen war. Außer unter dem Hunger und der Kälte litt er moralisch – er wollte nicht glauben, dass er, ein Mitglied der Komintern, hierhin geraten war, in die sowjetische
katorga
. Sein Entsetzen wäre geringer gewesen, wenn er gesehen hätte, dass er der einzige war. Aber allen erging es so, mit denen er gekommen, mit denen er untergebracht war, mit denen er starb. Er war ein kleiner, schwacher Mann, das Prügeln war schon in Mode gekommen … Einmal versetzte ihm der Brigadier einen Schlag, einfach mit der Faust, sozusagen der Ordnung halber, aber Derfel fiel um und stand nicht mehr auf. Er starb als einer der ersten, glücklichsten. In Moskau hatte er als Redakteur bei der TASS gearbeitet. Die russische Sprache beherrschte er gut.
»In Cayenne war es auch schlimm«, sagte er einmal zu mir. »Aber hier ist es sehr schlimm.«
Tot ist Fritz David. Das war ein holländischer
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