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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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gehört. IhreNachbarin wird nie herausbekommen, daß Judith ihre Magisterarbeit nicht fertiggeschrieben und in der Galerie Dr. Fenchel monatelang nur Kaffee gekocht und Bilder aus Bläschenfolie geschält hat. Leonie nickt beeindruckt.
    »Es ist selten, daß junge Leute, die zu uns kommen, so wenig Engagement erkennen lassen. Ihretwegen habe ich ein paar Dutzend Ihrer sicherlich befähigteren Kommilitoninnen abgeschmettert. Ich werde mit Herrn Professor Baumeister über Sie sprechen. Er hatte Sie mir wärmstens empfohlen!« Frau Dr. Fenchels gepudertes Gesicht unter der blauschwarz gefärbten Geisha-Frisur, der lackrote Mund und die arrogant hochgezogenen Brauen geistern manchmal noch durch Judiths Alpträume. Dabei war das Gesamtkunstwerk, wie sie ihre Chefin heimlich nannte, vollkommen im Recht. Judith gab eine grauenvolle Praktikantin ab. Sie telefonierte aus dem Büro nach Tübingen und Kirchheim, kam andauernd zu spät, vergaß Termine und schien sich ständig in einem Nebel der Gleichgültigkeit zu befinden. Es war einfach Pech, daß dieses lang ersehnte Praktikum, das ihre berufliche Zukunft sichern und sie mit einem Schlag aus der Brotlosigkeit herauskatapultieren sollte, mit ihrer Sören-Sinnkrise und dem damit verbundenen Tavor-Peak zusammenfiel.
    Judith war in ihrer letzten Woche nicht mehr in die Galerie gegangen. Sie holte ihr Zeugnis nicht ab, es wäre ohnehin nichts zum Vorzeigen gewesen. Und ihre Flucht aus der Hackstraße war nicht alleine eine Flucht vor Sörens Stimme auf dem Anrufbeantworter. Auch der näselnde Ton der Galeristin gehörte zu den Dingen, vor denen sie sich schützen wollte.
    Klaus kommt in den Garten. Er trägt das bemalte Holztablett aus Chiavenna, darauf zwei Kaffeetassen. »Mesdames, für Sie, wohl bekomm’s.« Klaus drückt Judith an sich. Sein Griff ist fest, als müsse er sich vergewissern, daß sie tatsächlich bleibt, nicht wieder in einem Astloch verschwindet, so wie die schöne Trud demBauernburschen abhanden gekommen ist. Sie riecht sein Rasierwasser und den vertrauten Klaus-Geruch, sauber und ungefährlich. Judith schließt kurz die Augen und lehnt sich an ihn. Sein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig unter dem kratzigen Pullover. Sie möchte sich bei ihm verkriechen, als kleines Tier in seiner Achselhöhle wohnen. Klaus gibt Leonie die Hand, sie plaudern kurz. Uli und Kilian sind gekommen und hängen sich an seine Beine, um dann wieder mit den Mädchen im Häusle zu verschwinden. »Ich geh mal hoch und deck den Tisch. Überbackene Käsebrote, das war doch dein Plan für heute abend?« Judith nickt langsam. »Und der Rote-Beete-Salat steht im Kühlschrank, oben links, vergiß nicht, noch mal abzuschmecken.« »Das wird den Kili freuen, mal wieder rot pinkeln! Tschüs, Leonie, bis bald!« Judith trinkt ihren Kaffee in großen Schlucken, schaut ihm hinterher. Kein Hintern in der Hose. Ein schlappriges Nichts an der Stelle, wo sich die Jeans runden sollten. Nicht zu prall, sondern genau richtig, wie bei Dürers Adam, Michelangelos David, wie bei Sören. Judith schüttelt sich, sie haßt die Hartnäckigkeit und physische Präsenz solcher Erinnerungen. Es ist, als habe ihr Körper ein eigenes Gedächtnis entwickelt für Dinge, die ihr Verstand längst verdrängt haben will. Trotzdem sitzt Klaus’ Hose nicht. Was Leonie wohl denkt, die ihrem Mann ebenfalls hinterherschaut und sich den Milchschnurrbart von der schmalen Oberlippe wischt? Die meisten Frauen mögen Klaus, ob das nun die Sekretärinnen des Fachbereichs sind, die Mamis im Waldorfkindergarten oder Frau Posselt. Er ist groß, kompakt und hat immer warme Hände.
    »Echt witzig, dein Klaus. Ihr kennt euch schon lange, oder? Und er ist immer noch total in dich verliebt«, sagt Leonie und schließt kurz die Augen wie in einem sentimentalen Kinofilm. Judith nickt nur, sie will nicht noch mehr Goldstücke speien. Die Sonne bringt es an den Tag, irgendwer wird sie verraten,irgendwann. Sie wäre es wert, erzählt zu werden, die Story von Judith und Klaus, dem guten Jungen und dem Biest, der Verrückten im Bett des braven Mannes, dem Dornröschen, das nicht wachgeküßt, sondern durchgeschüttelt wurde, mit verklebten Augen aus dem schweren Tablettenschlaf gerissen, um sich anbrüllen zu lassen: »Du trampelst eh nur auf mir rum. Jetzt geht’s dir schlecht, da kommst du angeschissen. Ich habe Annett, ich wollte dich vergessen, und jetzt das! Wie bist du hier reingekommen?«
    Leonie macht ihr Schweigen nichts aus. Sie

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