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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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redet weiter, als hätte sie nur darauf gewartet, von sich erzählen zu können. »Weißt du, daß ich dich beneide, um einen Mann, der schon so früh nach Hause kommt? Bei Simon wird es in letzter Zeit immer später. Ich komme mir schon vor wie alleinerziehend. Die Mädels werden auch traurig davon. Und zickig. Soll ich dir sagen, wann wir das letzte Mal was zu zweit unternommen haben?« Judith zuckt mit den Schultern.
    Die Kinder haben ein neues Spiel begonnen – wilde Pferde – und selbstgehäkeltes Zaumzeug aus dem Gartenhaus angelegt. Es wird das letzte für heute sein, die Messingglöckchen glänzen in der Dämmerung. »Sie haben viel Fantasie, deine Jungs. Das gefällt Lisa und Feli natürlich. Es gibt so viele Kinder, die gar nicht richtig spielen können.« Judith nickt, sie erzählt von den Spielmaterialien im Kindergarten, gesichtslosen Puppen, einfachen Holzklötzen, die sicher dazu beigetragen haben, die Einbildungskraft von Uli und Kilian zu stärken. Aber Leonie hat dieses Thema, bei dem Judith sich sicher fühlt, nur gestreift. »Meine beste Freundin feiert heute abend ihren Geburtstag. Sie wohnt in Tübingen, das ist doch wirklich keine Entfernung. Wir haben auch eine Babysitterin, unsere Putzhilfe. Ich möchte so gerne zusammen mit Simon da hingehen, ohne Kinder, wie ein Liebespaar. Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind nur noch Eltern.« Judith räumt das Geschirr weg, stellt die leeren Tassen ineinander. Siedenkt an ihre Abende, wenn die Jungen schlafen und sie mit Klaus im Wohnzimmer sitzt. Sie hören Musik, planen die Wochenenden, reden über den Kindergarten, den nächsten Großeinkauf, Klaus’ Studenten und Projekte. Wenn sie miteinander schlafen, ist es ruhig und langsam. Ein Mal gleicht dem anderen, wie Schwimmen am Warmbadetag, angenehmes, wenig aufregendes Geplätscher.
    Judith ruft ihre Kinder. Sie kommen gleich angetrottet, während Leonie Lisa und Felicia schließlich an den Handgelenken aus der Spielhütte zerren muß. Sie droht mit »wenn-dann«-Formeln – kein Fernsehen, kein Betthupferle – und gerät dabei außer Atem. Judith weist Kilian und Uli an, das Sandspielzeug aufzuräumen und die Hütte abzuschließen. Sie sind müde und hungrig, gehorchen aber, ohne zu meckern. Noch ein kleiner Triumph über die andere, die sogar bereit ist, diese Niederlage einzugestehen, und den Sieg dadurch schmälert: »Deine Kinder sind viel ruhiger und vernünftiger als meine.« Die Abschiedsrufe der Jungen auf dem Gehweg vor dem Haus gehen im Wutgeheul von Lisa und Felicia unter: »Wir wollen nicht heim! Mama, du bist ein Blödie!« Leonie winkt ein letztes Mal, dann überquert sie die Straße, dirigiert die weinenden Mädchen ins Haus. Die geschnitzte Eichentür schließt sich mit einem dumpfen Knall. Ulrich und Kilian trotten hinter Judith her, die den Korb trägt. Bei Hanna sind die Fenster noch dunkel, auch der Renault parkt nirgends. Die Jungen haben nicht einmal nach Mattis gefragt. Das Essen wird bereits auf dem Tisch stehen, gefolgt von den vertrauten Ritualen des Abends: Zähneputzen, Waschen, die Geschichte vom Zwerg, der ins Reich der Trolle wandert, ›Der Mond ist aufgegangen‹, alle Strophen. Sie selbst wird durch das Ende des Tages gleiten wie auf einer langsamen, sanft erleuchteten Rutschbahn, an deren Ende der Schlaf steht. Und davor das Tavor, beim Zähneputzen heruntergeschluckt mit minzigem Atem.
    Auf der anderen Straßenseite läuft eine Gruppe Jugendlicher. Sie kicken eine leere Dose vor sich her, die scheppernd Hauseingänge und Kellerfenster trifft. »Paß auf, du Spast!« »Fick dich, Alter, fick dich von hinten!« Judith erkennt sofort Nâzıms Verwandten, Murat mit den silbernen Turnschuhen, und daneben Marco und die beiden anderen. Murat dreht den Kopf weg, aber der Schöne, Fußspitze an der Büchse, fixiert Judith und ruft: »Hey Mutti, du bist geil, weißt du das? Hastu Bock, ich kann dir’s voll besorgen. Gib mir deine Handynummer, ich ruf dich an, wenn Papi schaffen geht!« Seine Kumpane bleiben wie am Vortag kichernd im Hintergrund. Sie schiebt ihre Kinder vor sich her, »Schnell nach Hause, der Papa wartet mit dem Essen.« Ihre Wangen brennen.
    Uli und Kilian rühren sich nicht von der Stelle. Sie glotzen die Jugendlichen an. »Ey ihr kleinen Wichser, kann eure Mutti blasen?« Marcos Stimme kippt, er jodelt das letzte Wort hervor. Judith schiebt die Kinder über den Bürgersteig und nestelt nach dem Schlüsselbund, findet ihn nicht, läutet schließlich

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