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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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uns? Ich finde dich überall, ich krieg dich immer, merk dir das. Runter mit den Klamotten, ich hab das Auto erst gestern saubergemacht, du alte Pißnelke.« Er hatte ihm die Hosen runtergerissen und ihn getreten. Es war ein schöner Aprilnachmittag, blauer Himmel, die Sonne schien. Neben ihm in den Parklücken strahlte grünes und silbernes Blech, warf Schatten auf Mini-Marco, der am Boden lag und schrie. Aber keine Sau kam. Porno hatte ihn in den Kofferraum geschmissen, zu einem Karton fettarmer Milch und einem Paar alter Turnschuhe. Nachdem er den Blechsarg endlich geöffnet hatte, auf einem einsamen Parkplatz an der Landstraße, nahm er ihn noch mal in die Zange, flüsterte: »Deine Oma, wenn du noch mal in ihre Nähe kommst, anrufst oder hinfährst, weißt du, was ich dann mache? Ich fahr nach Marbach und warte vor dem Haus. Und wenn sie dann rauskommt, geb ich Gas und mangel sie um. Alte Weiber könnennicht mehr gut gucken, sind eine Gefahr im Straßenverkehr. Kleiner Unfall, keiner wird was merken. Willst du das? Nein? Okay, dann weißt du Bescheid.«
    Nein, so bescheuert wird er nicht wieder sein. Oma Bine kriegt dann später eine Postkarte mit dem Haus drauf, Einos Haus am Meer. Warum die dünne Anita nicht mehr in die Schubartstraße ging, hatte Mini-Marco nie begriffen. Er fragte sich, ob etwas mit ihr geschehen war, ein Unfall, eine Krankheit, daß sie sich plötzlich so verändert hatte. Mini-Marco hatte auch eine Theorie gehabt. Marco lacht heute darüber, aber Mini-Marco war das ganz logisch vorgekommen. Da gab es diesen Film, über einen Vater, der eine Dose vergammeltes Bier trank und dann zu einem Monster wurde. Mini-Marco hatte sich ernsthaft gefragt, ob nicht mit der dicken Anita etwas Ähnliches passiert war. Ob das nicht sein konnte, daß ein Monster sich in den Menschenkörper einschlich wie ein Einbrecher in ein fremdes Haus. Denn seine Mutter war verschwunden. Es gab nur noch die dünne Anita, die die meiste Zeit hinter der riesigen Gestalt mit dem Rohr verborgen blieb. Ganz am Anfang kam sie abends noch hinter den Vorhang und flüsterte: »Du darfst ihn nicht so aufregen, sei brav, Marco. Wenn du brav bist, passiert auch nichts. Er meint es nicht so. Du mußt dich anstrengen, Marco.« Aber mit der Zeit hatten diese Besuche aufgehört. Und sie schien ihn überhaupt nicht mehr wahrzunehmen. Sie war bei der Arbeit, sie ging zum Sport, mit Porno zusammen, und oft vergaß sie, Marco einen Teller hinzustellen, wenn sie den Tisch deckte. Deshalb konnte es schon sein, daß diese Frau, die da in der Wohnung rumlief, aß, schlief und aufs Klo ging, gar nicht seine Mutter war.
    So wie die dicke Anita sich verwandelt hatte, war auch Marco nicht mehr derselbe. Mini-Marco hatte sich versteckt, mausemäßig, unsichtbar, versucht, alles richtig zu machen. Aber seit Marco kein Mini-Marco mehr ist, merkt er, daß er etwas tunkann. Bestimmen, was Sache war, Zähne zeigen, Haare auf der Brust, Wut im Bauch. Mit Murat, Hassan und Ufuk war es einfach. Sie hielten zusammen, da traute sich keiner ran.
    Marco wußte nicht mehr genau, wann und wie das mit ihnen angefangen hatte. Plötzlich waren sie dagewesen. Wahrscheinlich hatten sie sich vor der Schule getroffen. Sie drückten sich möglichst lange dort rum, weil keiner Bock hatte, nach Hause zu gehen. Ufuk kannte er schon aus der Jakobschule. Er wohnte auch im Hochhaus. Murat und Hassan kamen später dazu. Es gab niemand in der Stufe, der mit ihnen rumhing. Sie waren sich selbst genug, ließen keinen an sich ran, machten andere fertig. Marco war das egal. Er schaffte es, bei ihnen einzusteigen. Sie waren härter als der Rest und irgendwie näher an ihm dran. Er würde nie wirklich zu ihnen gehören, das merkte er an allen möglichen Sachen. Aber ihre Väter prügelten, genau wie Porno, und dann gab es noch Cousins und große Brüder. Meine Herren, da kam was runter, auf alles, was sich bewegte, die Mütter, die Schwestern. Trotzdem sagten sie: »Das verstehst du nicht, sie müssen das tun, wegen Respekt, wegen Ehre, das kennt ihr Deutschen nicht.« Richtige Scheiße. Aber es war besser, nicht mehr rumzulabern. Diese Wir-Muslims-ihr-Schweinefresser-Gespräche konnten schlecht ausgehen. Ärger gab es zu Hause. Draußen wollte er jemand anders sein, Tokio-Hotel-Georg meinetwegen, wegen dem sich die Mädchen kichernd anstießen, vor dem die Feigen kuschten und an dessen Seite die richtig coolen Typen marschierten, um sich zu nehmen, was ihnen zustand.
    Wenn er sein

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