Kürzere Tage
Ding durchzog, wäre es mit ihnen vorbei, das wußte er, und es machte ihn traurig. Aber wenn er jetzt einknickte, würde er irgendwann draufgehen. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Noch so ein Spruch von Oma Bine, aber so war es. Er würde heute noch hobeln, was das Zeug hielt, und die Späne, der Mist, der in den Kuttereimer geschmissen wurde, wenn die Partyvorbei war, das würde diesmal nicht er sein, nicht Marco. Das wären dann die anderen: Hassan, Murat, Ufuk und auch Onkel Nâzım, besonders der. Wenn das klappte, was er sich überlegt hatte. Wenn es irgendwo knallte und rauchte, dachte man doch automatisch an Türken. Und es würde heute noch rauchen, ganz bestimmt. Dann konnte er abhauen, die Taschen gestopft voll, denn er hatte einen Superplan, bei dem mehr rüberkommen würde als beim Wühlen in Pornos traurigem Geldbeutel oder beim Abziehen auf dem Schulweg.
Die Story, die Hassan rausgelassen hatte, als sie vorgestern die Constantinstraße raufschlenderten, auf dem Weg zu Nâzıms Laden, die hatte ihn drauf gebracht: »Der Murat, der muß jetzt da schaffen, das will sein Vater, weil der die Schule eh nicht packt. Sein Onkel Nâzım ist voll der erfolgreiche Geschäftsmann. Der hat’s echt geschafft, und Murat hat erzählt, der hält nichts von den deutschen Banken, steckt alles Geld in eine Dose, ’ne alte Kichererbsendose. Ist ein kluger Typ, der Nâzım. Und die Dose, die versteckt er irgendwo im Laden. Hammer, oder?«
Marco fand, daß der kluge Nâzım total schwul aussah mit seiner Mütze. Aber das wollte bei Türken nichts heißen, die küßten sich ja auch zur Begrüßung. In seinem Laden mit der gestreiften Markise war Marco vorher noch nicht gewesen. Anita kaufte im Discounter. Es war sowieso komisch, daß er so gut wie nie zum oberen Ende der Constantinstraße kam. Er kannte die ›Zaunkönige‹. Da hatte Mini-Marco oft abgehangen, bevor Porno kam. Den Bopser-Spielplatz direkt bei der U-Bahn gab es noch da oben. Auf dem kasperten sie manchmal abends rum, hingen an der Tarzanbahn, rauchten und tranken. Ufuk hatte dort auch mal eine Schlampe aus ihrer Stufe gevögelt, in dem Kletterhäuschen, ganz oben. Aber dorthin waren sie immer über die Wächterstaffel gegangen. Einmal schnaufen, und schon war man oben. Erst mit Murats Zwangsarbeit erschien der Laden auf seiner Landkarte. Eshatte jede Menge Alk dort gegeben. Zuerst hatte er nur daran gedacht, Murat zu überreden, mal ein paar Flaschen zu klauen. Der schwule Nâzım hätte bei seinem ganzen Gezeter jedenfalls nicht geschnallt, wenn man ihm den halben Laden weggetragen hätte.
Aber diese Dose, die war natürlich viel besser als eine ganze Badewanne voller Alk. Die mußte er haben. Richtig viel Kohle, um endlich wegzukommen, weit und schnell. Estland statt Marbach, das war doch was. Er wird nicht die dämliche S-Bahn nehmen, sondern den Zug, am besten den ICE. Er braucht sich die Knete nur zu holen. Marco faltet den Zettel wieder zusammen und steckt ihn ein. Eino, ich komme.
Es ist klar, daß er die anderen nicht mehr treffen darf, wenn er gleich rausgeht. Sie würden da sein, wo sie immer waren, in der Unterführung am Olgaeck, vor Werners Kiosk, auf den Treppen vor der Tiefgarage in der Blumenstraße, zwischen Lidl und Sexshop. Es wäre nicht schwer, ihnen auszuweichen, ihr Revier ist klein. Er würde einfach hochlatschen bis zur Brunnen-Tuss’ und dort warten. Er würde nicht auffallen und hätte Nâzıms Klitsche und die ganze Constantinstraße gut im Blick. Constantin, ein blöder Name, so blöd wie die meisten hier oben: Olga, Alexander, Katharina.
Der Brunnen ist die Grenze, an dem sein Revier endet. Unten sind die Häuser zwar alt, aber schwarz und bröckelig. Aus den Kellern mufft es, und in den Höfen liegt Sperrmüll. Dann kommt Marcos Hochhaus, wie ein riesiger Wachturm, unter dem sich die Constantinstraße und die Charlottenstraße schneiden, wo die U- Bahn fährt und der Verkehr brüllt. Die Brunnen-Tuss’ hockt in Zone 30. Sie hockt da mit ihrem hochgesteckten Haar, den spitzen Brüsten, von denen jede, kalt und glatt, genau in eine hohle Hand paßt. Sie sitzt ganz oben, kreuzt die schlanken weißen Beine, zeigt ein bißchen Hintern, der ebenso schmal und hübsch ist wie ihr restlicher Körper. Marco findet, die Brunnen-Tuss’ paßtan diese Stelle wie die Faust aufs Auge. Keine von den Weibern, die er kennt, könnte so gucken, schon gar nicht ohne Klamotten. Sie ist wie die Leute, die hier wohnen, in diesen Burgen, vor
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