Kürzere Tage
denen die Superkarren Stoßstange an Stoßstange parken und kein Papierchen auf dem Gehweg liegt. Sie ist wie die Frau, die er am Dienstag nach der Halloween-Party bei den ›Zaunkönigen‹ rausgeklingelt hat. Diese Rothaarige, die in Strumpfhosen aus ihrer Riesenbude gekommen war. Sie hatte mit ihnen geflirtet, richtig geflirtet, Süßigkeiten ausgegeben und trotzdem diesen Ausdruck im Gesicht gehabt: »Ihr könnt mir nix, ich bin cool, und ihr seid Dreck.« Die hatte mehr als genug. Und es war hier, in Stuttgart, drei Straßen weiter, zwei Minuten zu Fuß, nur eine Staffel höher. Und genauso war es mit der Kohle, die er brauchte. Die wartete auf ihn, ganz nah, eingerollt in einer Dose.
Es würde Spaß bringen, so lange Dreck zu machen, bis auch die Rothaarige anders schaute. Ängstlich. Die Hosen voll. Rumsauen, wo es so sauber war, das brachte es, das hatte Marco schnell gemerkt. Die da oben waren leicht aus der Ruhe zu bringen. Die Alte fiel ihm wieder ein. Die hatte einfach auf dem Gehweg gestanden und in einer Tour den Kopf geschüttelt. Bestimmt über ihn, als er gestern noch mal an Nâzıms Laden vorbeigerauscht war, um alles zu checken. Aber es gab nix zu sehen. Der Typ ließ grade seine Läden runter, Mittagspause. Und Marco sah nur diese Alte, die mit irrem Blick den Kopf schüttelte, als würde er gleich abfallen. An der Leine hielt sie einen tattrigen Köter, der jaulte und zerrte und in der Hand so ein altmodisches Einkaufsnetz, in dem eine einzige Zitrone baumelte wie ein fetter toter Goldfisch.
Das Rumziehen nach der Halloween-Fete bei den ›Zaunkönigen‹ war Hassans Idee gewesen. Murat und Ufuk waren ebenfalls total spitz darauf. Sie hatten Knaller, eine Eierschachtel und ein paar Tuben Zahnpasta. »Für die Arschlöcher, die uns nix geben wollen. Das machen sie in Amerika auch so, die machen da vollParty an Halloween, da traut sich keiner von den Alten vor die Tür!« Murat schlug vor, doch nicht im Hochhaus rumzugeistern, sondern lieber die Constantinstraße hochzugehen. »Da wohnen lauter Deutsche mit viel Kohle.« Marco seufzt und nestelt an seinen Schnürsenkeln herum. Die Sache mit der Dose würde schon anders werden, härter. Er muß sich ausrüsten, für alle Fälle.
Marco wühlt im Putzschrank in der Küche. Porno hat wirklich für jeden Furz eine Giftpulle. Backofenspray, Raumdeo, Ceranfeldreiniger. Aber das, was Marco sucht, ist nicht dabei. Er wirft alles raus, das Zeug kullert über den Boden, paar Dosen rollen unter den Herd. Das können sie dann selber aufräumen, wenn sie heimkommen. Dann hat er endlich in den Fingern, wonach er gesucht hat. Fensterreiniger. Home Profi . Spiritus. Hinten drauf das kleine orangefarbene Schild mit dem schwarzen Feuerle. Hochentzündlich. Her damit. Eino, ich komme. Ich pack noch mein Zeug und bin weg. Er verstaut die Glasflasche in einer zerknitterten Plastiktüte. Was braucht er noch? Wann hat er das letzte Mal seine Sachen gepackt, um irgendwohin zu gehen? Mini-Marco im Waldheim, vor 1000 Jahren. Der Rucksack muß reichen, da geht jede Menge rein, Eastpack, coole Marke, hat er von einem flennenden Grundschulspasti gezogen, in der Unterführung am Charlottenplatz. Warme Sachen, am Meer ist es kalt. Und die Fleecemütze. Socken und Unterhosen müssen auch sein. Sein Blick wandert durch den winzigen Raum. Den Gameboy noch, falls es mal langweilig wird. Paar Stunden wird das schon dauern. Scheiße, daß er in den Alk gepißt hat, er könnte noch einen Schluck vertragen. Aber vielleicht ist es gar nicht schlecht. So hat er wenigstens kein Brett vor dem Kopf. Eine Knarre wäre gut, so ein richtig fettes Teil, rambomäßig. Sich den Weg freiballern. Marco läßt den Rucksack fallen und stürzt ins Wohnzimmer. Das ist es! Er reißt den Schrank auf und fetzt Anitas und Pornos Klamotten heraus. Da unten ist sein Krempel. »Meine persönlichen Papiere.Wer da rangeht, ist tot.« Marco stülpt den kleinen Karton um. Schufa, Finanzamt, ätzender Kram. DVDs, Ficksauereien, war ja klar. Aber da, da ist sie. Endlich. Die ultimative Wumme. Wie zehn nackte Wilde hat Porno damit angegeben. »Aus Berlin, vom Brandenburger Tor. Gleich nach der Wende bin ich hin, wollte mir alles ansehen. Da hatten sie alte Armeebestände, von den Sowjets. Hab noch runtergehandelt, die Polacken, die wollen einen ja immer bescheißen.« Die Pistole liegt groß und schwarz in Marcos Hand. Sie fühlt sich schwer an und irgendwie lebendig. Er tastet über den geriffelten Griff. Er
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