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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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und Ansatz zum Bäuchle. Ein Lustiger, machte immer Späßle: »Der Katz miaut nicht mehr.« Und er war großzügig. Brachte einen Silberfuchs, Korallenohrringe, eine silberne Puderdose und passendeFlakons mit französischem Parfüm. Der Silberfuchs war mit grüner Seide gefüttert, die ins Rötliche changierte. An der linken Innenseite, auf Herzhöhe, war das Schildchen gewesen. Helene Seligmann, Stuttgart-West. Sie hatte es mit der Nagelschere rausgetrennt. Die kleinen Löcher, durch die das Stickgarn gelaufen war, blieben und schauten sie an, wenn sie den Pelz zurückschlug, um die Beine zu kreuzen. Der Eugen und seine Jungs waren so ein lustiger Haufen, mit denen gab es jede Menge Spaß. Wer wollte den verderben und groß nachfragen. Sie wußten doch alle, woher die Sachen kamen. Und die hatten eh genug. War besser, sie gingen, so wie der Breslauer, ab nach Amerika. Da konnten sie weiter ihre krummen Geschäfte machen, während Deutschland ganz neu gebaut wurde.
    Luise tastet auf dem Nachttisch nach ihrer Brille, das Mistding ist wieder nach hinten gerutscht. Sie sieht damit aus wie eine dicke Eule. Die Gläser sind schmutzig, die Putztüchle nicht zu finden. Stöhnend beugt sie sich vor und zieht die Schublade auf. Papiertaschentücher, Ohrstöpsel, Handcreme. Sie wälzt sich zurück aufs Bett und verschnauft.
    Der Eugen fiel bei Stalingrad, wo sonst. Von dem hatte es keine Reste, nur eine Postkarte. Später brachte ihr einer, der Herbert hieß, Eugens Uhr. Erzählte ihr was, über die letzten Stunden. Ihr Foto habe er rumgezeigt: »Mein Schätzle«. Das konnte schon stimmen. Aber ansonsten sagte der Herbert bestimmt nicht die Wahrheit, wollte bloß was schnorren. Die Kerle schwätzten den Frauen vom Krieg nur Lügen vor. Eigentlich war es ein Glück gewesen, daß sie mit dem Wenzel ganz neu anfangen konnte. Wie sollte das auch gehen, zwei Menschen, die nicht mehr dieselben waren, die sich jahrelang nicht gesehen hatten. Das konnte gar nicht sein.
    Im Sitzen schüttelt Luise ihr Kissen auf. Sie möchte am liebsten noch einen Knick hineinhauen, aber das wäre zu laut. Es tutnicht gut, schon morgens an das alte Zeugs zu denken, aber es schleicht sich halt immer wieder dazwischen. Ihre Blase drückt, sie muß dringend zum Klo. Wenn es daneben geht, ist es schrecklich, Einlagen hin oder her. Wenzel soll schlafen, es ist ja nichts dabei.
    Schlamper schnarcht im Korb am Fenster. Seine Pfoten zukken, vielleicht stellt er im Traum die Kerle von gestern. Im Radio läuft jetzt etwas Klassisches, sie stellt immer Klassik ein. Die englischen Songs sind ihr zu unruhig. Die Sprache mag sie nicht. Überall schwätzen sie jetzt Englisch: mihting peunt, Reisetrolli, ohkei. Die Amis können sich wirklich freuen. Vorsichtig kriecht Luise raus, weil es jetzt nicht mehr lange gutgeht und langsam auch Hunger und Kaffeedurst kommen. Ein Elend, ein gotziges, wie die alte Annelies immer gesagt hat. Erst die Füße ganz langsam an die Bettkante und dann vorsichtig auf den Boden. Weh tut es in jedem Fall. Sie beißt die Zähne zusammen und jammert leise. Ihr Rücken zieht und sticht. Noch mehr Tabletten. Es sind doch schon so viele: Blutdruck, Niere, Osteoporose, weiß der Kuckuck. Zum Frühstück gibt es die Plastikschachtel mit den vielen Fenstern. Die bunten Pillen schauen heraus wie kleine Köpfe. Wenn sie sich zu schnell bewegt, wird ihr auch noch schwindlig. Es dauert den Rest des Klavierkonzerts und die ganzen Nachrichten durch, bis sie endlich sitzt und auf ihre Füße schauen kann. Diese Füße, die sie jeden Morgen aufs neue entsetzen, die einer Fremden gehören, plump und krallig, von Adern und Altersflecken bedeckt, bläulich an den Zehen. Füße, deren Nägel nicht mehr die Schere, sondern nur der Knipser durchdringen kann und deren große Zehen überkreuz gehen und sich über ihre schmaleren Brüder legen wie eine umgestürzte Zaunlatte. Das ist die Strafe für all die spitzen Büroschuhe, angefangen von dem ersten Paar, den Kalbsledernen mit Spange. Die Mutter hatte beim Bezahlen den Kopf geschüttelt. Stöhnend, eineHand im Kreuz, tastet sie nach den Lammfellschuhen, versteckt die grauslichen Schlägel.
    Traudl, ihre Schwägerin, lief auf flachen Absätzen. Sie war groß. Auch die anderen Frauen aus Wenzels Jahrgang hatten fast alle diesen Naturkind-Schick. Sie benutzten Weleda-Kosmetik, schworen auf Heilerde-Masken, Wasser aus bestimmten Quellen, die heilende Sonne, Turnabzeichen, Morgengymnastik. Hohe Tiere beim BDM

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