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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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waren die meisten gewesen, Sportskanonen natürlich. Bauernarbeit kannten sie vom Landjahr, die schöne, die wunderschöne Zeit! Wenn Luise mal davon anfing, was für eine Schinderei das Leben in Uhlbach zu jeder Jahreszeit gewesen war, wurde sie schnell wieder still unter den empörten Blicken der anderen.
    Ihre Handelsschule, ihr ganzes Stuttgart, das hatte sie nur Onkel Theo zu verdanken. Dem Onkel Theo, der Wut und Scham der Eltern über den sitzengebliebenen Hefezopf und Luises zwei linke Hände mit dem Satz entgegentrat: »Aber im Rechnen, da isch se a Fäßle.« Und weil es für Haus und Hof ja noch die beiden Brüder gab, durfte sie gehen.
    Jetzt drückt Luise beide Fäuste in die Matratze und stemmt sich hoch. Der Schmerz packt fest zu, klammert sich in ihr Kreuz und läßt nicht mehr los. Sie schreit auf, läßt sich wieder fallen. Schlamper kommt aus seinem Korb und legt die kühle Nase in ihre Hand, die schweißfeucht vom Bettrand baumelt. Er fiept. Sie streichelt das Fell und genießt die Wärme des Hundekörpers. Der Schwanz klopft ungeduldig auf den Bettvorleger. Dann strebt das Tier schnüffelnd auf Wenzels Seite. Luise greift in sein Halsband. »Guter Schlamper, laß dein Herrle schlafen. Ich laß dich gleich raus, gell?« Sie wird Wenzel mit einem Kaffee rauslocken. Kaffee und Brötchen, dick mit Butter und Schinken. Frühstück wie ein Kaiser. Dafür hat sie immer Brötchen eingefroren, Kochschinken und ein Stück Butter im Kühlschrank, damit keiner morgens laufen muß. Den Hund kann sie schnell in den Garten schicken. Erist so ein Sauberer, gräbt alles ein, fast wie ein Kätzle. Die beiden kleinen Buben vom Dr. Rapp oben sind noch nie in was getreten. Zu ihrem Kaffee wird sie rauchen. Soll ja so ungesund sein. Kaum zu glauben, wenn man sie und den Wenzel ansieht, seit fast 70 Jahren Raucher und immer noch gut beieinander.
    Luise steht jetzt und hält sich am Fensterbrett fest. Vor dem Heizkörper zittert die Luft, drückt heiß und gut gegen ihre nackten Beine. Der heruntergelassene Rolladen versperrt ihren Blick. Sie sieht den gelben Papierschirm der Nachttischlampe im schwarzen Glas, daneben sich selbst im Hemd. Das Haar steht wirr und weiß vom Kopf ab. Ein Gespenst, ein sehr altes Gespenst. Das bin ich, das soll ich sein. Nun gut. Der Kissenhügel liegt als stille Winterlandschaft hinter ihr. Sie macht ein paar vorsichtige Schritte in Richtung Tür. Der Hund folgt ihr.
    Jawohl, ein guter Kaffee, der kann Tote aufwecken. Für Bohnenkaffee, da wird er aufstehen. Bohnenkaffee, der durch den Porzellanfilter laufen darf. Noch ein paar Krümel Salz über das Kaffeepulver gestreut, das macht das Wasser weich. So kochen sie in Wien und Prag den Kaffee. Das hat sie von ihrer Schwägerin Traudl gelernt. Die hat ihr viel beigebracht, damals, in ihrer neuen Küche in Obertürkheim. Eine funkelnde weiße Küche mit rotem Linoleumfußboden und bunten Vorhängen vor der Glastür, die in den Garten hinausführte. Schwager Erich hatte dort eine Eberesche gepflanzt. Das Bäumchen war winzig, kaum größer als die Bruni. Die wuchsen im Isergebirge. Der Bruscha-Erich kam aus Böhmisch-Leipa. Der war ein Lieber und lustig, hatte schon mit Anfang 30 kein einziges Haar mehr. Ihr Schwager aß am liebsten Saiten mit Linsen und Spätzle, aber das durfte die Traudl nicht hören. Krebs in der Bauchspeicheldrüse, da war’s ganz schnell zu Ende. Gelb wie eine Zitrone war er am Schluß. Und die Traudl hatte der Schlag getroffen, Jahrzehnte später und ausgerechnet in ihrer Küche, längelang auf dem Linoleum, vonMehl überpudert und die schwarze Emailleschüssel umgestürzt neben sich, der Teigkloß darunter wie ein von der Henne verlassenes Ei.
    »Buchführung kannst du, aber deine Knedliki, die wird der Wenzel nicht mögen.« Traudl fischte mit dem Schöpflöffel im sprudelnden Wasser nach zerfallener weißer Knödelmasse, aufgequollenen bräunlichen Semmelbrocken. »Es darf nicht richtig kochen. Hast ne aufgepaßt vorhin, newane?« Aber sie grinste dabei und begann, neue Geschichten über die Nachbarn zu erzählen, böse Geschichten natürlich. »Saßen sie wieder draußen und haben sich das Maul zerissen: ›Der Bruscha, der baut da nie!‹ Das hab ich gehert. Und weißt du was: Ich hab es solln heren!« Traudl war glücklich, soweit das möglich war. Sie hatte es geschafft. Bruscha-Traudl und Bruscha-Erich waren zu allen anderen Meriten – Oberlehrerin, Daimler-Ingenieur, Volkswagen, Tochter Bruni auf dem

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