Kürzere Tage
nix rechts sein.« Sie hatten nur für die elende Schinderei gelebt: am Weinberg, im Garten, im Stall. Als ob die Lauferei nie aufhören durfte. Ein ewiger Kreislauf des Schuftens, der nur durch die Sonntagvormittage unterbrochen wurde. Sonntags, wenn man bei der Predigt vor Langeweile verging. Und am Montag ging es von Sonnenaufgang an weiter, gnadenlos, als ob sie es sich mit Fleiß ausdachten: Träuble zupfen, den widerlichen weißen Schaum vom Sauerkrautfaß abschöpfen, Hühnerstall ausmisten. Wie sie das gehaßt hatte, das Gegacker, den Mist, der kalkig und beißend roch, die kotigen, warmen Eier, die die Tiere pickend verteidigten.
Nein, Frühstücksei wird es nicht geben. Aber zum Türken mußsie gehen, es fehlt noch allerhand für das Mittagessen, und dann kommt übermorgen die Huzak. Sie sollte sich eigentlich die Speisekammer vornehmen, aber nun wird sie statt dessen Fenster putzen, Ende Oktober, nur wegen der Saukerle gestern.
Dreck hat Luise schon zu Hause in Uhlbach immer verabscheut. Wie stolz waren ihre Mutter, ihre Tanten auf akkurat geflochtene Hefezöpfe, selbstgestopfte Würste, die Gläser voller Gsälz. Aber Luise sah immer wieder, wie die Fliegen an den langen Leimstreifen zappelten, die über dem Tisch baumelten, wie sich im großen Geschirrschrank nicht nur Teller und Gläser fanden, sondern auch Büchsen mit Melkfett, Floh- und Zeckenmittel, die Zange zum Kastrieren der Ferkel. Die fließenden Übergänge zwischen Stall und Stube brachten mit sich, daß immer ein paar dreckige Stiefel oder mistige Hosen herumfuhren und alles einander durchdrang. Im Sommer wurde das Haus fast nur zum Schlafen betreten. Draußen summten und saugten Insekten, Gräser stachen und reizten zum Niesen, das Sonnenlicht gerbte die Gesichter. Kaputtgeschafft, das war ihre Mutter, das war ihre Näne, beide krumm wie Sicheln.
So wollte Luise nicht werden. Sie wollte eine Wohnung in der Stadt, mit Gasherd und Wasserklosett. Mit Jalousien, bunten Teppichen, polierten Möbeln. Und Blumenstöcke höchstens auf der Loggia. Immer hatten sie sich über sie lustig gemacht, ihre Lavendelseife von Mouson in den Sautrog geschmissen. Der Sau waren weiße Blasen um den Rüssel gestanden. Die Brüder lachten, wenn sie sich ständig eine saubere Schürze umband, frische Strümpfe rauslegte, ihr Gesicht vor der Sonne schützte mit einem breitkrempigen Hut. Dabei waren sie nicht einmal arm. Die Eltern hatten einen Weinberg, Obstwiesen, Schweine, dazu das Haus mit den blutroten Fachwerkbalken, den riesigen Kellertoren.
Es gelang Luise selten, den Eltern nach dem samstäglichen Markt, wo sie ihre Früchte und Gemüse an die hochnäsigenStuttgarter Weiber verkauften, einen Spaziergang, gar einen Café-Besuch abzubetteln. Wenn es erlaubt wird, will sie am liebsten rennen, daß der Rock fliegt, aber sie rahmen sie ein. Auf dem Alten Schloßplatz, nein, Schillerplatz hieß der jetzt, zeigt der Vater mit dem Finger auf das Adlerprofil des Dichterfürsten, und sie muß losrattern: Zu Dionys dem Tyrannen schlich Damon, den Dolch im Gewande. Ihn schlugen die Häscher in Bande, immer weiter, bis sie vor dem Königsbau stehen. Die Mutter lächelt jetzt. So ganz schrecklich findet sie es nicht. Man bräuchte ja noch ein paar Meter Stoff für Hosen und Druckknöpfle, und so kommt es, daß sie fast die ganze Königstraße langlaufen bis zum Bahnhofsturm. Der Vater brummt zwar, aber es ist alles gut weggegangen, denn ihr Obst und Gemüse ist meist schon vor halb zwölf ratzeputz weggekauft. Bei ihnen werden auch keine zerdetschten Erdbeeren unten in die Körble reingelegt, die Gurken sind niemals bitter und die Rosen taufrisch. Sie kommen beladen zurück; beim Breslauer gab’s das ganz günstig, der macht zu, Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe. Sie hat alle Filmplakate gelesen und viele schicke Frauen gesehen, in Kostümen, mit Hüten, Handschuhen und hohen Absätzen, ohne Dreck unter den Nägeln. Frauen aus Büros, aus den Kaufhäusern, die nicht wußten, wie schlimm ein Schweinestall stinken konnte oder was für ein Gefühl das war, zu sehen, wenn ein Hühnerarsch sich aufstülpte wie ein kleiner Mund, um das noch warme, klebrige Ei rauszulassen.
Komisch, der Eugen mochte auch keine Eier. Der kannte das auch, das gesunde Landleben. Aus Rohracker war der Eugen, aber kennengelernt hatten sie sich in Stuttgart. Der Eugen war bei der Schutzstaffel, aber keiner von den Bilderbuchnazis. Eher ein Dunkler, bißle viereckig, mit Schultern zum Anlehnen
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