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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Pantoffelfüße wie ein Guß Eiswasser. Schlamper schlüpft hinaus, schnüffelt erst einmal gemächlich an der Sauerei vor dem Fenster, verzieht sich dann knurrend hinter den Holderbusch. Luise geht zurück ins Bad, läßt warmes Wasser ins Waschbecken laufen. Sie behält den Morgenrock an, fährt kurz mit dem Frotteelappen über Hals und Gesicht, unter die Achseln, untenrum, Popo. Bei den Füßen hört sie auf. Das Bücken ist so qualvoll, daß sie sich schnell auf den Badewannenrand fallen läßt. Duschen amMorgen ist schon lange abgeschafft. Zu groß ist die Angst auszurutschen. Oberschenkelhalsbruch, Pflegefall, der Klassiker. Auch Wenzel hat Angst. Er kann sie nicht halten, wenn sie aus der Wanne kommt. Sie sprechen nicht darüber, sondern haben, einer wie der andere, wieder zum Waschlappen gegriffen. Lappen und Waschbecken, wie in den schlechten Zeiten. Dabei war sie damals sauberer als jetzt. Da gab es kein Pardon: eiskaltes Wasser auf den ganzen Körper, jede Stelle abgeschrubbt. Sie kam bei durchgedrückten Knien auch noch mit beiden Handflächen auf den Boden. Und die Freude über einen Riegel Kernseife, meine Güte. Heute hat sie Kölnisch Wasser flaschenweise, das kann man auftupfen und damit übertünchen, was vielleicht stören könnte. Vielleicht sollte sie doch anrufen, bei diesen Johannitern. Es wäre schön, mal wieder ein Wannenbad zu nehmen. Hauptsache, der Wenzel kann mich noch riechen und ich ihn. Und den Schlamper stört’s nicht weiter. Wenn’s zu schlimm ist, wird die Bruni sich schon beschweren, die kennt da nix. »Tante Luise, den Pullover kannst du nicht mehr anziehen, der ist ja voller Kaffeeflecken. Siehst du das denn nicht?« Nein, mein Mädle. Werd du mal so alt, dann wirst du selbst sehen, daß die Augen nicht mit jedem Tag schärfer werden. Aber daß ich es geschafft hab, in den Pullover reinzukommen, allein, und daß ich meine Strumpfhose angezogen hab, allein, und mein Haar in Ordnung hab, darauf bin ich stolz. Auch wenn du das nicht verstehst. Und ich wünsch dir, daß du sehr lang auf den Tag warten mußt, an dem du denkst: Ach, das hat die Tante Luise gemeint. Sie ist der Bruni nicht bös, die ist da, wenn der Kittel brennt. Das ist ein gutes Gefühl. Denn sonst ist niemand da. Die breiten Hüften, die großen Brüste, diese ganze Landmädle-Figur war nur ein Witz der Natur. Aus dieser Landschaft der Fruchtbarkeit war nie ein Kind hervorgesprossen, obwohl der Eugen wie der Wenzel reichlich darin geackert hatten. Eine leere Hülle, feist und stattlich, gefüllt mit taubenEierchen, die allmonatlich von der Gebärmutter herausgeweint wurden. Der Wenzel hat ihr nie einen Vorwurf gemacht. Es gab dann die Hunde. Und jede Menge Reisen: Sie pirschten sich langsam vor, Schweiz, Österreich, Tirol, später Florenz, Rom, bis runter nach Sizilien und schließlich mutig ins Flugzeug, Griechenland, Spanien, die Türkei, alles hatten sie zusammen gesehen.
    Aber die Traudl, die durfte ein Kind haben, ausgerechnet. Ein schwarzlockiges Mädel mit dunklen Augen, ein Püppchen zum Küssen, Haserle genannt, wenn es nicht gerade geprügelt wurde. Bruni, gestraft mit einem Namen, der jedem zeigte, was ihrer Mutter jahrelang alles bedeutet hatte: Brunhilde. Sie fiel nicht weiter auf. Überall stolperte man über Erdmuten, Ortruden und Winifreds. Der Dialekt konnte sie wie kein anderer abkürzen und eingemeinden: Brunile, Mutle, Trudele.
    In der Küche ist es kalt. Luise dreht am Heizungsregler. Es geht nicht weiter, steht schon auf Anschlag, trotzdem zittert sie. Aus dem Fenster sieht sie auf die Olgastraße, der Verkehr braust bereits heftig. Dann füllt sie den Wasserkessel, zündet das Gas an, schnippt das Streichholz in die Spüle, wo es zischend verglüht. Eines Tages stand die Bruni einfach vor der Tür, hier in der Constantinstraße. Es war ein Freitag, eindeutig kein Tantenbesuchstag. Der Geruch von Kochfisch schwebte im Flur, als Luise erstaunt die Wohnungstür öffnete. Regenfeucht hingen die Zöpfe links und rechts neben dem verheulten Gesicht. Über der Schulter baumelte die Schultasche, abgeschabt und tintenfleckig, das Schloß war lose und klapperte. Zwischen den braunen Wollstrümpfen und dem karierten Kleid, das ihr viel zu kurz war, leuchteten blauweiß die Kniescheiben. 13 Jahre, da trugen andere schon Nylons. Erich und Traudl mußten das Haus abbezahlen. Bruni atmete schwer, dann hickste sie es hervor, zwischen zum Schluckauf gewordenen Schluchzern: »Tante Luise, kann ich bei euch

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