Küss den Wolf
recht in die Ecke getrieben und tat so ziemlich das Dümmste, was ich tun konnte: »Und sie weiß auch, dass ich mit vollem Namen Pippa-Rosina heiße…«
Einen kurzen Moment herrschte Stille im Raum, doch dann brachen die drei in derartiges Gelächter aus, dass ich Angst bekam, Takumi würde uns rauswerfen. »Hey, beruhigt euch mal wieder«, flehte ich, als ich sah, wie Chikako vom Tresen zu uns herübersah und sich die anderen Gäste nach uns umdrehten. Tinka sang: »Pippa-Rosina, Pippa-Rosina«, bis ich ihr mit meinen Essstäbchen aus Holz auf den Kopf schlug.
»Hat der Name was mit der Vorliebe deines Vaters für Wein zu tun?«, wollte Jenny wissen, nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Ich stand total auf der Leitung. Tinka grinste: »Verstehst du’s nicht? Wein wird aus Trauben gemacht. Und wie heißt die Traube, wenn sie getrocknet ist, na?«
Endlich fiel bei mir der Groschen: »Rosine?!?« Komisch, über diese Möglichkeit hatte ich noch nie nachgedacht.
Doch dann wurde das Gesicht meiner besten Freundin wieder ernst. »Aber jetzt mal Spaß beiseite. Dir ist doch klar, dass diese Holla ein Hirngespinst ist, oder?« Ich zuckte mit den Schultern. Auch Lula und Jenny wirkten mit einem Mal sehr ernst. Jenny sprach als Erste aus, was ich in meinem tiefsten Inneren befürchtet hatte, seit sich die mysteriöse Holla in meinem Bett geräkelt hatte. »Kann es sein, dass du durch diese blöden Magic Mushrooms auf irgendeinem Trip hängen geblieben bist?« Tinka sah mich erschrocken an und plötzlich schimmerten ihre Augen feucht. Dann kullerte eine Träne.
Nanu, was war denn jetzt schon wieder los?
»Ich mache mir solche Vorwürfe, dass ich dumme Kuh euch dazu verleitet habe, die Psilos zu essen. Diese Mistdinger haben uns die Party verdorben, Max wäre beinahe verschüttgegangen, wir haben uns am nächsten Tag gefühlt, als wären wir vom LKW gerammt worden – und jetzt sieht Pippa auch noch Gespenster!« Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Daher antwortete ich: »Pippa-Rosina, wenn ich bitten darf«, und hoffte so, die angespannte Situation damit zu entschärfen. Doch das Lachen war diesmal nur verhalten.
Lula fand als Erste die Sprache wieder. »Wir sollten uns versprechen, niemals wieder so einen Mist zu machen und in Zukunft von allem die Finger zu lassen, was wir nicht kennen und daher nicht einschätzen können. Wir Maki-Girls sind zwar manchmal voll von der Rolle, aber nicht verrückt!« Wir prosteten einander mit dem Tee zu und schworen auf den Sushi-Gott, nie wieder Dinge zu tun, die wir nicht kontrollieren konnten.
Wie aufs Stichwort bekam ich eine SMS – Absender unbekannt.
Lust auf einen Ausflug am Wochenende? Wir könnten deine Großmutter besuchen. Gruß, L.
12.
Freitag, 8. April –
In einem alten Mietshaus
Seit vier Monaten schon beklagte sich der alte Herr aus Nummer acht darüber, dass sein Hamburger Abendblatt und der Spiegel aus dem Briefkasten entwendet wurden.
Seit vier Monaten klebten Schreiben am Pinnboard, das an der hellblau gekachelten Wand des Flurs befestigt war. In diesen Briefen forderte Lothar Merseburg den Dieb dazu auf, das Gestohlene wieder zurückzugeben und sich die Zeitungen künftig selbst zu kaufen. Andernfalls würde er rechtliche Schritte einleiten…
Was Lothar wohl denken würde, wenn er heute seinen Briefkasten öffnete?
Wie würde es sich anfühlen, wenn seine alten, gichtkranken Finger in den Hundekot fassten?
Und was würde Herr Merseburg dann an die Pinnwand schreiben?
BITTE UNTERLASSEN SIE ES
IN ZUKUNFT, MEINEN BRIEFKASTEN
ZU VERUNREINIGEN!
Und wie würde er erst reagieren, wenn er auf seinem Dachboden das Skelett entdeckte, das dort im staubigen Dunkel auf einem alten, kaputten Stuhl saß? Ein Knochenmann, geduldig darauf wartend, Lothar Merseburg in eine andere Welt zu entführen. In eine Welt, in der es keine gestohlenen Magazine gab, keine verschmutzten Briefkästen und keine Dachböden, auf denen Gefahren lauerten.
In eine Welt voll ewigen Friedens…
13.
Samstag, 9. April
Mein Herz pochte vor Aufregung, als Leo und ich in seinem Cabriolet Richtung Ohlstedt abbogen, um Theodora zu besuchen. Sie war sofort begeistert gewesen, als sie hörte, dass ich ausnahmsweise in männlicher Begleitung kommen würde.
»Herzlich willkommen. Ich bin Theodora, Pippas Großmutter«, begrüßte sie Leo, der ihr die Hand gab und ein strahlendes Lächeln schenkte. Im Gegensatz zu mir war er die Ruhe selbst.
»Ihr habt doch sicher
Weitere Kostenlose Bücher