Küss den Wolf
Appetit auf Kuchen«, sagte Theodora augenzwinkernd und wir folgten ihr auf die Terrasse, wo sie liebevoll für uns drei gedeckt hatte.
»Mein Gott, ist das schön hier«, schwärmte Leo und ließ seinen Blick über den Garten schweifen. »Haben Sie das alles alleine angelegt? Das muss ja unglaublich viel Arbeit gewesen sein, obwohl es eigentlich so aussieht, als sei das alles wie zufällig so gewachsen.« Theodora errötete vor Freude und stellte sich dicht neben ihn, um ihm mit ausladenden Handbewegungen zu beschreiben, was sie alles unternommen hatte, um das Grundstück in ein solches Paradies zu verwandeln. »Darf ich mir das mal genauer ansehen?«, fragte Leo. »Aber natürlich, sehr gern«, antwortete Oma, sichtlich geschmeichelt, hakte ihn unter und spazierte mit ihm zum Holzsteg. Während die beiden sich angeregt unterhielten, spielte ich mit den kleinen Gewichten in Kirschform herum, die an der Tischdecke befestigt waren, damit sie nicht wegflog. Ich beobachtete, wie Leo und Oma ihre Köpfe zusammensteckten und die Welt um sich herum vollkommen vergaßen.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gern auf dem Land leben. Ich liebe die Natur!, hatte Leo bei unserem ersten Date gesagt und deshalb freute ich mich besonders darüber, ihm zeigen zu können, an welch magischem Ort ich aufgewachsen war.
»Dein Freund hat ein ausgeprägtes Gespür für Gartenarchitektur und kennt sich bestens mit Pflanzen und Fischen aus«, sagte Theodora anerkennend, nachdem die beiden ihren Rundgang beendet hatten. »Was machen Sie denn eigentlich beruflich, Herr Goldmann?«
»Nennen Sie mich ruhig Leo, sonst fühle ich mich so alt und erwachsen«, antwortete er grinsend und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, ehe er sich setzte. Ich war so erstaunt darüber, dass ich wieder und wieder über die Stelle streichelte, als könnte ich auf diese Weise seine zärtliche Berührung für immer festhalten. »Ich studiere Garten- und Landschaftsbau, deshalb habe ich ein wenig Ahnung von diesen Dingen«, erklärte Leo und ich stutzte. Weshalb erzählte er ihr schon in der ersten halben Stunde, was er machte, während er mir gegenüber fast nie etwas über sich erwähnte? »Wenn Sie wollen, schaue ich mir nachher mal Ihre Hecken am hinteren Ende des Grundstücks an. Von hier sieht es nämlich so aus, als könnten die einen anständigen Schnitt vertragen.« Theodora warf mir einen Blick zu, der in etwa sagte Da hast du aber einen guten Fang gemacht! , was mich deshalb besonders freute, weil Oma ein untrügliches Gespür für Menschen hatte. Sie war äußerst kritisch und fing nicht so schnell Feuer wie andere. Aber wen sie einmal in ihr Herz geschlossen hatte, der konnte sich für immer ihrer Zuneigung und Unterstützung sicher sein.
Nachdem wir gegessen hatten, nahm Leo unvermittelt meine Hand und drehte sich zu Theodora: »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Ihre Enkelin für einen kurzen Moment entführe?«, fragte er und zog mich, ohne ihre Antwort abzuwarten, vom Stuhl.
Theodora stellte die Kuchenteller übereinander und lächelte: »Macht ruhig und lasst euch Zeit. Dieses Paradies möchte in aller Ruhe und mit viel Muße betrachtet werden. Ich spüle währenddessen das Geschirr und warte dann drinnen auf euch. Viel Spaß!«
»Was ist denn mit deiner Spülmaschine?«, fragte ich verwirrt.
»Die ist leider kaputt«, antwortete Theodora und stellte das Geschirr auf ein Tablett. »Keine Ahnung, was im Moment los ist. Erst der Kühlschrank, dann die Heizung – und nun die Spülmaschine. Da kommt man ja mit dem Bezahlen gar nicht mehr hinterher.«
»Was kostet denn so eine Heizungsanlage?«, fragte ich vorsichtig. Meine Großmutter lebte von einer bescheidenen Rente, andere Einkünfte hatte sie nicht. Ottokar und sie hatten zwar immer gearbeitet, aber am Theater verdiente man leider nicht viel. Theodoras Gesicht verfinsterte sich, als sie die Summe nannte. »Minimum sechstausend Euro. Wenn ich auf Solar umstelle, was ich gern tun würde, dann eher mehr. So wie es aussieht, werde ich in den nächsten Jahren ein wenig sparsamer leben müssen und eine Weile keinen Urlaub mehr machen können.« Ich bekam einen dicken Kloß im Hals. Großmutter flog jedes Jahr zusammen mit ihrer besten Freundin Annerose nach Madeira, um dort den Herbst zu verbringen. Bislang hatte sie nichts und niemand von diesen Plänen abhalten können. »Ich werde Mama davon erzählen«, antwortete ich leise. »Sie wird dich bestimmt unterstützen, wenn
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