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Küss den Wolf

Küss den Wolf

Titel: Küss den Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Engelmann
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konnte nicht behaupten, dass das, was passiert war, ihn freute.
    Er hatte schließlich niemals vorgehabt, den alten Mann zu Tode zu erschrecken.
    Er hatte lediglich seinen Plänen ein klein wenig Nachdruck verleihen wollen.
    Wer konnte denn schon ahnen, dass Lothar Merseburg gleich einen Herzinfarkt bekommen würde, wenn er das Skelett sah?
    Hatte er denn nicht erkannt, dass es sich dabei um die Art von Knochengestell handelte, wie man sie im Biologie-Unterricht verwendet?
    Oder war das am Ende gar nicht die Ursache für seinen Zusammenbruch gewesen und ihn traf keinerlei Schuld?
    Wie auch immer – er würde in Zukunft etwas vorsichtiger sein müssen.
    Andererseits jedoch wiederum nicht zu vorsichtig.
    Schließlich sollte das, was er vorhatte, auch die gewünschte Wirkung zeigen…

16.
    Montag, 11. April
    »Hey, Pippa, schön, dich zu sehen«, rief Marc, als ich die Treppe nach oben sprintete. Ich hatte verschlafen und jetzt noch genau eine Minute, bis der Unterricht begann. »Sorry, aber ich hab’s total eilig und du doch bestimmt auch«, antwortete ich, ohne ihn anzusehen, und nahm weiter Kurs auf den Klassenraum. Dort war unsere Deutschlehrerin, Antje Kammerer, gerade dabei zu verkünden, dass wir spontan eine Klassenarbeit schreiben würden.
    »Wie grauenvoll!«, zischte ich Jenny zu, die auch so aussah, als sei sie mit dem falschen Fuß aufgestanden. Montag eben! Ich kramte in der Federtasche nach meinem Kugelschreiber und die Kammerer verteilte währenddessen die Aufgabenbögen.
    »Viel Erfolg!«, flüsterte Jenny und rollte mit den Augen.
    WAS für ein Start in die neue Woche.
    Zurzeit nahmen wir Die Leiden des jungen Werther durch und ich war heilfroh, dass ich wenigstens den Film Goethe! mit Alexander Fehling gesehen hatte. So wusste ich zumindest ein bisschen über die Motivation des Autors, diesen Briefroman zu schreiben, den ich bislang (Shit, Shit!) nur zur Hälfte gelesen hatte. Wenn Verena wüsste, dass ich einen ihrer absoluten Lieblingstexte so schändlich vernachlässigt hatte, würde sie ausrasten – oder bestreiten, mit mir verwandt zu sein.
    Während ich versuchte, bei der Textzusammenfassung darüber hinwegzutäuschen, dass ich mit allem anderen beschäftigt gewesen war, nur nicht mit dem werten Werther, wanderten meine Gedanken zu Leo. Den ganzen Sonntag hatte ich darauf gewartet, dass er sich melden würde, doch leider vergeblich.
    »Pippa, was ist los? Wieso schüttelst du den Kopf?«, wollte die Kammerer wissen und ich wurde puterrot. Hatte ich das wirklich gerade getan? Wenn ich nicht aufpasste, würde aus mir noch eine wunderliche Jungfer werden, die mit dem Kopf wackelte und mit Waldfeen sprach. »Äh, nichts«, antwortete ich und schaute wieder auf meinen Arbeitsbogen. Musste ja nicht jeder mitkriegen, wie durcheinander ich gerade war.
    Wieso konnte ich nicht endlich damit aufhören, andauernd an Leo zu denken? Es gab doch schließlich so viel Wichtigeres! Zum Beispiel könnte ich mich endlich mal um meine verkümmerten Bauchmuskeln kümmern. Oder um die Leiden des jungen Werther.
    Viele zähe Stunden später war endlich Schulschluss und damit Kino-Time!
    Die Arbeit im Abaton würde mich hoffentlich ein bisschen ablenken. »Hi, Pippa«, rief Amélie, ohne hochzusehen. Das Hamburger Abendblatt fesselte ihre Aufmerksamkeit scheinbar weitaus mehr als ich. »Na, was gibt es denn so Spannendes?«, fragte ich und blickte ihr neugierig über die Schulter. Amélies Atem duftete süß nach Maoam, Geschmacksrichtung Orange, als sie mir erzählte, dass in einem Hamburger Mietshaus am Rande des Schanzenviertels seit einiger Zeit merkwürdige Dinge vor sich gingen. »Zuerst hat sich dort eine alte Dame halb zu Tode erschreckt, weil vor ihrer Tür eine tote Ratte lag, und nun hat ein Mann aus demselben Haus einen Herzinfarkt erlitten, weil auf dem Dachboden plötzlich ein Skelett auf seinem Lieblingsstuhl saß.« Mir stockte augenblicklich der Atem. Ein Skelett auf dem Dachboden?!? Wie unheimlich!
    »Das Teil war zum Glück nur aus Plastik, aber der Mann schwebt jetzt in Lebensgefahr. Bitter, oder?« Ich nickte, sämtliche Härchen auf den Armen standen mir einzeln zu Berge. »Das klingt, als sei das dort eine Art House of Horror«, murmelte ich und dachte an Theodora. Wie gut, dass sie auf dem Lande lebte, wo meist nichts Aufregendes passierte. »Und hat man schon eine Erklärung für diesen… diesen… Spuk?« Es war gar nicht so leicht, eine passende Bezeichnung für diese Ereignisse zu

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