Küss den Wolf
alles danach aus, als sei Theodora nicht versichert«, murmelte ich und wagte es kaum, Leo anzusehen. »Und wenn das stimmt, dann ist sie ruiniert!«
»Ach du meine Güte«, antwortete Leo und zog mich aufs Bett. Dort saßen wir eine Weile schweigend nebeneinander. Verena würde ausflippen, wenn ich ihr sagte, dass ich keine Police gefunden hatte. »Und was wollt ihr jetzt tun?«, fragte er schließlich und nahm meine Hand. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es ehrlich nicht«, antwortete ich, dummerweise schon wieder unter Tränen. So viel zum Thema heißes Wochenende…
»Theodora hat nur eine kleine Rente und meine Mutter kann auch nicht mit Geld um sich werfen. Die einzige Chance, die uns bleibt, ist zu verkaufen…« Ich schaffte es kaum, den letzten Teil des Satzes auszusprechen. Oma ohne ihr heiß geliebtes Waldgrundstück – absolut unvorstellbar! »Du meinst, das Haus verkaufen?«, fragte Leo mit gerunzelter Stirn. »Aber wo soll sie dann hin? Sie ist doch viel zu fit, um schon ins Altersheim zu gehen. Oder könnte sie bei euch wohnen?«
»Ich meine nicht das Haus. Ich meine das Waldgrundstück. Es haben schon etliche Makler gefragt, ob es zum Verkauf steht. Selbst die Stadt hat Interesse angemeldet. Aber meine Großmutter hängt sehr daran, weil es schon seit ewigen Zeiten in unserem Familienbesitz ist, und sie möchte, dass ich es eines Tages erbe.«
»Wofür wollte die Stadt es denn haben?«, fragte Leo, der immer noch liebevoll meine Hand hielt. »Ach, keine Ahnung. Für luxuriöse Eigentumswohnungen am Stadtrand oder Bürogebäude oder irgendetwas anderes, das kein Mensch braucht. Die Walddörfer sind eben eine sehr begehrte Gegend, weil es hier so schön grün ist.«
»Verstehe«, murmelte Leo. »Abgeholzte Bäume sollen also Platz für schicke Wohn-Ghettos machen. Aber wer will denn hier ernsthaft irgendwelche Glas-, Stahl- und Betonmauern sehen? Das würden doch die Anwohner gar nicht mitmachen. Außerdem ist das hier ein echtes Paradies für Tiere und Pflanzen…«
Beim Stichwort Paradies überlief mich ein Schauer. Ich war noch gar nicht dazu gekommen, richtig über die Ereignisse der vergangenen Nacht nachzudenken, geschweige denn sie zu verarbeiten. Das Feen-Fest allein war schon eine mehr als abenteuerliche Sache gewesen, aber die Weissagung der Steinfee hatte dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt. Hatte Sybillas Orakel mit seiner Prophezeiung etwa Theodoras Ruin gemeint?
39.
Sonntag, 2. Mai
Ich wurde wach, als die Sonne meine Nasenspitze kitzelte, und sah auf den Wecker. Im Gegensatz zu gestern war es noch früh, nämlich sieben Uhr. Leo schlief tief und fest und ich betrachtete ihn eine Weile verliebt. Kaum zu glauben, dass er tatsächlich hier war. Es war doch erst ein paar Wochen her, dass ich beinahe verrückt geworden war, weil ich ihn nicht erreichen konnte und nicht wusste, ob er es überhaupt ernst mit mir meinte oder nur Spielchen spielen wollte. Und nun lag er hier neben mir…
Ich beschloss, diesen besonderen Augenblick nicht durch die Sorge um Oma zu zerstören, denn im Moment konnte ich eh nichts tun. Auch alle Gedanken an Marc waren wie weggeblasen und ich fragte mich, warum ich jemals auch nur eine Sekunde länger als nötig an ihn gedacht hatte.
Als Leo trotz eines sanften Kusses auf die Wange nicht wach wurde, beschloss ich, mich fertig zu machen und schon mal einen Tee zu trinken. Es gab so unendlich viel, worüber ich nachdenken musste.
Ich konnte es kaum erwarten, mit Tinka und den Maki-Girls über alles zu sprechen, was mir in der letzten Woche passiert war. Bei vielem hatte ich immer noch das Gefühl, es nur geträumt zu haben. Nach einer erfrischenden Dusche öffnete ich die Terrassentür und sah zu meinem Erstaunen Holla auf einem der Holzstühle lümmeln. »Da bist du ja endlich!«, rief sie und sprang auf. Heute trug sie eine Latzhose und hatte ihr Feenhaar zu einem lässigen Knoten zusammengebunden. »Hast du die Party gut überstanden? Du siehst ehrlich gesagt ziemlich fertig aus.«
»Morgen, Holla«, brummte ich mit belegter Stimme. »Ja, das war alles ein bisschen heftig.«
»Schläft Leo noch?«, fragte Holla und blickte zum Fenster des Gästezimmers. »Ja, das tut er«, antwortete ich und wurde plötzlich auch wieder müde. Vielleicht sollte ich zurückgehen und mich wieder neben ihn legen.
»Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?«, fragte Holla, legte den Zeigefinger verschwörerisch auf die Lippen und deutete mit dem Kopf Richtung Gartenteich.
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