Küss den Wolf
die Welt untergeht.« Die Feen nickten beschämt.
Mit einem Mal wurde ich entsetzlich müde und sehnte mich nur noch nach meinem Bett. Was gäbe ich dafür, wenn ich mich jetzt dorthin beamen und so lange schlummern könnte, bis Leo kam, um mich aus meinem Dornröschenschlaf zu holen und wach zu küssen.
Aber halt!
Durfte ich ihm denn überhaupt noch trauen?
»Ich würde vorschlagen, dass ich Pippa jetzt ins Haus zurückbringe, denn sie scheint todmüde zu sein. Alles Weitere besprechen wir ein anderes Mal. Im Moment kann ja keiner von uns mehr klar denken.« Zustimmendes Raunen erfüllte die ansonsten stille Waldlichtung – und ehe ich es mich versah, fand ich mich in Theodoras kuscheligem Daunenbett wieder.
»Aber ich habe mich doch gar nicht von den anderen verabschiedet und mich für die Party bedankt«, murmelte ich und schloss die Augen. Ich fühlte, wie weiche Hände sanft meine Stirn berührten und über meine Lider strichen.
Dann spürte ich einen Windhauch, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel.
38.
Samstag, 1. Mai
»Hey, wie siehst du denn aus, Süße. Hast du die Nacht durchgemacht?« Immer noch ein wenig benommen stand ich an der Tür und ließ Leo herein. »Ich habe ungefähr zwanzigmal geklingelt und dachte schon, du hättest mich versetzt.«
»Tut mir leid«, stammelte ich verwirrt. »Ich… ich muss wohl sehr tief geschlafen haben. Wie spät ist es denn?«
Leo lächelte, nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss .
Oh mein Gott, hatte ich heute Nacht überhaupt Zähne geputzt? Mein Herz fing sofort wieder an zu rasen und ich wusste immer noch nicht ganz genau, wo oben und unten war. »Es ist drei Uhr. Nachmittags, wohlgemerkt. Wann warst du denn im Bett?« Ich wand mich aus Leos Umarmung, weil ich das dringende Bedürfnis nach einer Dusche und einem starken, grünen Tee hatte. »Magst du dich vielleicht einen Moment ins Wohnzimmer setzen, während ich mich schnell umziehe?«
»Eigentlich gefällst du mir ganz gut in dem, was du anhast. Aber mach ruhig, ich vertreibe mir währenddessen die Zeit im Garten. Oder soll ich uns Kuchen holen und einen Kaffee kochen, während du im Bad bist?« Ich realisierte erst jetzt, dass ich in einem von Omas bodenlangen, karierten Flanell-Nachthemden steckte und dicke Wollsocken trug. »Kuchen und Tee wäre super«, murmelte ich und hastete ins Bad. Leo musste wirklich sehr in mich verliebt sein, wenn er dieses Outfit mochte.
Eine halbe Stunde später sah die Welt schon wieder anders aus: Auf dem Küchentisch dampfte eine Kanne Sencha, auf dem Kuchenteller türmten sich diverse Köstlichkeiten. Und ich fühlte mich halbwegs bereit für das heiß ersehnte Wochenende. »Komm her, du hast mir so gefehlt, sagte Leo zärtlich und zog mich zu sich auf den Schoß. Dann fütterte er mich abwechselnd mit Apfelkuchen, Bienenstich und Mandelhörnchen. Zwischendurch küssten wir uns so leidenschaftlich, dass ich das Gefühl bekam, der Boden würde anfangen zu schwanken.
Ich versuchte, alle Gedanken an Sybillas Prophezeiung zu verdrängen und stattdessen den Moment zu genießen.
Während ich überlegte, wie ich Leo unauffällig in das Gästezimmer lotsen konnte, hatte er offenbar ganz andere Pläne: »Wollen wir jetzt mal auf den Dachboden?«, fragte er und streichelte mir über das Haar. »Ich würde zwar viel, viel lieber weiter mit dir schmusen, aber wir müssen doch noch ein bisschen was tun, wenn ich dich richtig verstanden habe, oder? Es wäre doch besser, wenn wir das erst erledigen, bevor wir…« Ich bekam Gänsehaut, als ich mir das danach vorstellte. Diesmal würde ich mich von nichts und niemandem abhalten lassen, auch nicht von Holla!
»Ja, leider«, murmelte ich, meinen Kopf an seine Brust gelehnt. Wie gut Leo duftete! Ich hätte ewig so sitzen bleiben können. Aber er hatte ja recht: Irgendwann würden die Handwerker kommen und bis dahin musste alles geschützt und verpackt sein, für den Fall, dass es während der Reparaturarbeiten erneut regnen würde.
»Das sieht ja toll aus«, sagte Leo bewundernd, als wir mithilfe der ausziehbaren Holzleiter nach oben geklettert waren. »Ein bisschen wie im Museum.«
»Wie in einem Museum mit massivem Wasserschaden«, knurrte ich und hob eine alte Puppe mit roten Haaren auf, die Großmutter mir aus Wollresten gestrickt hatte, als ich ungefähr zwei Jahre alt gewesen war. Sie war durch die Nässe verschmutzt und roch muffig. Leider war die Puppe nicht das Einzige, was unter dem Orkan gelitten hatte: Viele
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