Küss den Wolf
geschaut, worauf du Appetit hast? Ich würde nämlich vorschlagen, dass wir erst in Ruhe essen und danach reden. Wär sonst schade um das leckere Essen.«
»Du tust so geheimnisvoll, als hättest du gerade die Entdeckung des Jahrhunderts gemacht«, antwortete ich und widmete mich dann der Speisekarte. Momentan musste ich ein bisschen auf mein Geld aufpassen, also durfte ich nichts allzu Teures bestellen. »Ich liebe den Balutschi- Thali total, da sind so viele unterschiedliche Sachen drauf«, schwärmte Marc. Mist, ich auch!, dachte ich und bestellte aus purer Bockigkeit etwas anderes. Nachdem wir gegessen und ein bisschen über die Schule gequatscht hatten, hielt ich es nicht mehr aus: »Also, Marc, was hast du nun so Bahnbrechendes herausgefunden, das nicht bis morgen warten kann?« Marc rutschte unruhig hin und her und wirkte, als sei es ihm unangenehm, was er zu sagen hatte. »Also gut! Dein Leo ist ein Betrüger, wie er im Buche steht. Und leider nicht nur das, sondern vermutlich sogar an dem Entmietungsterror im Haus meiner Großtante beteiligt.«
Ich fühlte mich, als hätte mir jemand eine Ohrfeige verpasst. Ich wäre am liebsten sofort schreiend aus dem Restaurant gerannt. Was hatte ich eigentlich getan, dass sich meine Welt in letzter Zeit permanent auf den Kopf stellen musste? Ich wollte doch nichts weiter, als ein ganz normales Leben führen… »Wie kommst du denn auf diesen Quatsch?«, fragte ich und funkelte Marc böse an. »Keine Ahnung, was du dir von dieser absurden Anschuldigung versprichst, aber ich glaube dir kein Wort.« Den letzten Teil des Satzes schrie ich beinahe. Nein, nein, nein – ich will jetzt nicht an Sybillas Orakel denken! ICH WILL NICHT!
»Pippa, ich weiß, dass das jetzt alles sehr plötzlich kommt und dass es dir schwerfällt, mir zu glauben. Ich habe ja auch lange überlegt, ob ich es dir überhaupt sagen soll. Aber ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass Leo auf das Waldgrundstück deiner Großmutter spekuliert. Und deshalb wollte ich dich warnen, bevor es eventuell zu spät ist. Ich möchte dir wirklich nur helfen, weil… weil ich dich mag.«
Aha, daher wehte der Wind.
Marc hatte also Interesse an mir und wollte mir jetzt Leo madig machen. Was für ein Idiot! Dachte er denn wirklich, ich würde auf so eine abgedrehte Story hereinfallen? »Nenn mir nur einen Punkt, der beweist, dass du recht hast«, forderte ich wütend.
»Okay, Pippa. Wie wär’s zum Beispiel damit, dass Leo mit Nachnamen gar nicht Goldmann heißt, sondern Lauterbach? Lauterbach, Lauterbach. Wo hatte ich diesen Namen schon mal gehört?
»Der Immobilienfirma Lauterbach & Söhne gehört die halbe Stadt. Sie sind reich geworden, indem sie günstige Wohnungen saniert und teuer verkauft haben. Sie haben ein zuverlässiges Gespür für Gegenden, die irgendwann in Mode kommen, und wissen, womit sich viel Geld verdienen lässt. So ist im Laufe der Zeit ein ganzes Imperium daraus erwachsen. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Jonas hat Leo allerdings keine sehr gute Position im Unternehmen. Sein Vater hält ihn für einen totalen Loser, was er vermutlich auch ist.«
»Aber… aber Leo studiert doch Garten- und Landschaftsbau…«, stammelte ich. OH MEIN GOTT! Was, wenn Marc doch recht hatte? Was, wenn Leo der Wolf im Schafspelz war, vor dem Sybilla mich gewarnt hatte?
»Das hat er dir gegenüber behauptet. In Wirklichkeit macht er gerade eine Ausbildung zum Immobilienfachwirt, kümmert sich nebenbei als Hausverwalter um die Wohnobjekte der Firma und spekuliert darauf, eines Tages den ganz großen Fisch an Land zu ziehen. Dann würde er endlich die gleiche Anerkennung von seinem Vater bekommen wie sein Bruder Jonas.«
Ich schnappte nach Luft. »Woher weißt du das alles?«, fragte ich entsetzt.
»Seitdem das mit meiner Großtante und Lothar Merseburg passiert ist, habe ich wie wild recherchiert. Die Firma Lauterbach war vor ein paar Jahren schon mal in einen ähnlichen Skandal verwickelt, obwohl man ihnen nie etwas beweisen konnte. Dass einer der beide Söhne Leo heißt, wusste ich natürlich, also habe ich da ein bisschen nachgeforscht.«
»Wieso bist du denn überhaupt davon ausgegangen, dass mit Leo etwas nicht stimmt?« Marc war doch nur neidisch, oder?!
»Ganz einfach: Weil er nirgendwo auftaucht. Er steht weder im Telefonbuch noch gehört er irgendeinem sozialen Netzwerk an. Im digitalen Zeitalter ist so gut wie jeder auffindbar, wenn man nur intensiv genug sucht. Es sei denn, man hat
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