Kuess mich doch - Roman
tief Luft, nahm all ihren Mut zusammen und platzte dann mit dem Erstbesten, das ihr durch den Kopf ging, heraus: »Ich weiß, dass ich für dich eine Enttäuschung bin«, sagte sie hastig, bevor sie einen Rückzieher machen konnte.
Ihr Vater zuckte zusammen. »Das ist ein bisschen hart ausgedrückt«, sagte er.
Lexie schüttelte fest den Kopf. »Nein, ist es nicht. Es ist die Wahrheit. Ich bin anders als du, Mom und Margaret. Ich bin nicht so zielstrebig und konsequent – oder zumindest verfolge ich andere Ziele als ihr. Aber ich bin erfolgreich – sofern man es so definiert, dass ich für mich selbst sorgen kann. Ich bin sogar in der Lage, etwas Geld für die Zukunft zu sparen, und für weitere Auslandsreisen, damit ich die Welt sehen kann. Ich liebe meine Arbeit«, sagte sie. Allmählich kam sie so richtig in Fahrt. »Ich meine, ich bin gern Webdesignerin, und ich finde es schön, dass ich dank meiner Tätigkeit mit vielen verschiedenen Kunden zu tun habe. « Die Beschreibung ihres Lebens aus ihrer Perspektive verpasste ihr einen regelrechten Adrenalinstoß.
»Alexis … «, sagte ihr Vater. Er sah völlig verdattert drein.
»Warte. Lass mich bitte ausreden, ja?«
Er nickte. Seine Geduld war eine seiner positiven Eigenschaften.
»Ich bin auch sehr ehrlich. Das habt ihr, du und Mom, mir beigebracht, und ich bin stolz darauf. Ich
ziehe meinen Kunden nicht das Geld aus der Tasche, obwohl ich das natürlich könnte. Sie haben keine Ahnung, wie viel Zeit ich für einen Entwurf oder für die Überarbeitung einer Webseite brauche. Aber wenn mich jemand engagiert, dann zahlt er einen angemessenen Preis für meine Leistung. Meine Assistentin arbeitet gern für mich, weil ich sie gut bezahle und fair behandle. Ich habe hohe Ansprüche an sie, was dazu führt, dass sie ständig dazulernt und als Designerin immer besser wird. Auch dafür muss ich dir und Mom danken, denn auch das habe ich von euch gelernt. «
Sie betrachtete ihren Vater, der sich mit der Hand das Gesicht rieb.
»Mir ist nicht ganz klar, worauf du hinauswillst«, sagte er.
»Ich weiß.« Sie schluckte schwer und suchte nach den passenden Worten. »Ich vermute, was ich damit sagen will, ist: Ich mag zwar vielleicht keinen Beruf eurer Wahl ergriffen haben, ich mag die Dinge anders angepackt haben als ihr, aber ich bin trotzdem erfolgreich. « Sie umklammerte die Sessellehne. »Ich bin vielseitig interessiert – sogar vielseitiger als du, wenn du mir die Bemerkung erlaubst. Ich habe mehr von der Welt gesehen. Und ich bin ebenso erfolgreich, in meinem Bereich.« Lexie holte tief Luft. »Sind wir uns da einig? «
Er schwieg, und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, obwohl es in Wirklichkeit bestimmt nur ein paar Sekunden waren, bis er bedächtig nickte.
»Ja, das sind wir. So habe ich weder dich noch dein Leben je betrachtet. «
Lexie lächelte. »Ich weiß. Ich möchte dir gern sagen, dass ich dich inzwischen auch etwas besser verstehe. «
Er beugte sich etwas nach vorn. »Wie denn das?«
»Na ja, ich denke, wir haben mehr gemeinsam, als du dir je bewusst warst. «
»Ehrlich gesagt war ich immer der Meinung, wir hätten überhaupt nichts gemeinsam. Also bitte, klär mich auf.« Er faltete die Hände auf dem Tisch. Seine Haltung war steif, aber sein Blick und seine Miene waren offen. Neugierig. Sogar einladend.
Lexie schöpfte Hoffnung. »Wir wissen beide, wie es ist, in einem Zuhause aufzuwachsen, in dem es unmöglich ist, die Erwartungen seiner Eltern zu erfüllen. Wenn man mit allem, was man sagt oder tut, Enttäuschung hervorruft«, sagte Lexie. Das Herz pochte ihr heftig in der Brust.
Ihr Vater nickte. »Ich schätze, da ist was dran. Von diesem Standpunkt aus habe ich es noch nie betrachtet. « Seine Stimme klang genauso verwundert, wie er dreinschaute.
Sie hatte es ja selbst bislang nicht so gesehen – bis ein kluger Mann sie darauf aufmerksam gemacht hatte. »Ich bin sicher, es war nicht einfach für dich, mit Charlotte als Mutter aufzuwachsen«, fuhr Lexie fort und biss sich vor Nervosität auf die Wange, weil sie seine Antwort fürchtete.
Aber er nickte erneut. »Sie hat zwar meinen Vater geheiratet und ist sesshaft geworden, aber sie war nie wie andere Mütter. Sie war mir in jeder Hinsicht so fremd – angefangen von ihrer Kleidung bis hin zu
ihrem Verhalten –, dass ich mich in ihrer Gegenwart stets unwohl gefühlt habe. Ich habe gespürt, dass ich anders als sie bin, aber auch anders als die anderen Kinder. Deshalb wollte ich
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