Kuess mich doch - Roman
nie jemanden mit nach Hause bringen. Je exaltierter sie sich benahm, desto zugeknöpfter wurde ich. «
Lexie starrte ihren Vater mit weit aufgerissenen Augen an. Sie hatte gehofft, dass er sie verstehen würde, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr sein Herz ausschütten würde. Wer hätte gedacht, dass er die Mauer, die er um sich herum errichtet hatte und an der sie als kleines Mädchen immer wieder abgeprallt war, einreißen und ihr einen Blick in sein Innerstes gewähren würde?
»Mir ging es ähnlich«, sagte Lexie sanft. »Mit einem Unterschied. Je strenger eure Regeln und je größer eure Erwartungen wurden, umso rebellischer habe ich mich verhalten, umso mehr habe ich mich nach der Freiheit gesehnt, ich selbst sein zu dürfen. Umso mehr wollte ich als die akzeptiert werden, die ich war, für das, was ich wollte.« Es kostete sie einige Mühe, die schmerzhaften Gefühle und Erinnerungen in Worte zu fassen.
»Und genau das habe ich nie getan«, gab Lexies Vater zu. »Weil ich in dir zu viel von meiner Mutter wiedererkannt habe und weil ich die Nase voll hatte von Unbeständigkeit und unvorhersehbaren Verhaltensweisen. « Er räusperte sich. »Aber du … Du bist auf den Gemeinsamkeiten mit deiner Großmutter geradezu herumgeritten. Im Grunde hat es sich für mich
so angefühlt, als wolltest du mir ständig unter die Nase reiben, dass du so bist wie sie. «
»Stimmt«, gestand sie. »Ich wollte unbedingt wie Grandma sein, weil das bedeutete, dass ich nicht allein war. Dass ich kein schlechter Mensch war, nur weil ich euch nicht ähnlich war – dir, Mom und Margaret. « Sie musste schlucken, weil sie einen Kloß im Hals hatte. Sie war sich nicht sicher, ob das auf die erlittenen Seelenqualen zurückzuführen war oder ob es an den Möglichkeiten lag, die sich ihnen nun für die Zukunft eröffneten.
»Das erinnert mich daran, wie schwer es für mich war, in dem Wissen aufzuwachsen, dass meine Mutter und ich so grundverschieden waren. Mir war nie bewusst, dass es dir genauso ging. «
Lexie merkte am Klang seiner Stimme, wie schwer es ihm fiel, das zuzugeben. Aber weil er sich dazu überwand, kamen sie sich plötzlich näher, als Lexie es je für möglich gehalten hätte.
»Ich schätze, ich hätte dir das Leben auch ein bisschen einfacher machen können«, sagte sie lachend.
Er lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. »Und, wie geht es jetzt weiter?«, fragte er verlegen.
Lexie holte tief Luft. Die Antwort lag – zumindest für sie – auf der Hand. »Wie wär’s, wenn wir uns einfach auf die Zukunft konzentrieren?«, schlug sie vor.
Ihr Vater stand auf und ging um den Schreibtisch herum.
Lexie erhob sich ebenfalls. Sie trafen sich auf halbem
Weg, und zum ersten Mal, seit Lexie denken konnte, kam ihre Umarmung so richtig von Herzen.
Sie wusste, dass sie das Coop zu verdanken hatte, auch wenn er noch nichts davon ahnte. Sie würde es ihm später erzählen.
Vorausgesetzt, er wollte es immer noch hören.
Als Lexie in die Wohnung ihrer Großmutter zurückkam, probierte Charlotte gerade Kleider an und stolzierte darin durch die Wohnung. Sylvia saß im Wohnzimmer und tat soeben ihre Meinung zu einem magentaroten Rüschenkleid kund, das zu Charlottes lila gefärbten Haaren schlicht und einfach grauenhaft aussah.
»Das gefällt mir am besten!«, rief Charlotte. »Was haltet ihr davon?«
Sylvia kniff die Augen zusammen. »Das elfenbeinfarbene passt besser zu deinem Teint«, sagte sie und zwinkerte Lexie zu.
»Wofür putzt du dich denn so heraus?«, wollte Lexie wissen und nahm auf einem Sessel Platz.
Charlotte drehte sich in ihrem Kleid im Kreis, so gut sie in ihrem Alter eben dazu in der Lage war. »Für eine Gala der Lancaster-Stiftung. «
»Wie bitte?«
Sylvia griff zu einem Glas Wasser und nahm einen Schluck, ehe sie zu einer Erklärung ansetzte. »Anscheinend findet demnächst eine Auktion statt, auf der unser Schmuck verkauft werden soll. Eine Geldbeschaffungsmaßnahme. Und danach steigt eine Riesenparty. «
Lexie kniff die Augen etwas zusammen und musterte die beiden Ex-Diebinnen, die ehemals im Besitz des besagten Schmucks gewesen waren und sich jetzt auf den festlichen Anlass vorbereiteten. »Und wie kommt es, dass ihr zwei eine Einladung ergattert habt?«
Charlotte grinste von einem Ohr zum anderen. »Die Einladung kommt natürlich vom Zeremonienmeister höchstpersönlich! Soll heißen, von unserem Lieblingsjunggesellen Sam Cooper.« Sie ahmte einen Trommelwirbel nach,
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