Kuess mich doch - Roman
Erwachsene. Auf der anderen Seite hatte sich Lexie den Großteil ihres Lebens an ihrer Großmutter orientiert. Nicht, dass Charlotte so furchtbar gerne verreiste und Lexie sich in dieser Hinsicht ein Beispiel an ihr genommen hatte. Sie imitierte ihre Großmutter auf viel subtilere Art und Weise.
Lexie hatte Charlotte stets dafür bewundert, dass sie einfach ihr Leben lebte und sich nicht darum scherte, was die anderen dachten. Diese Einstellung hatte Lexie idealisiert. Oder – um Coop zu zitieren – sie lieferte ihr eine Grundlage dafür, ihre Entscheidungen zu rechtfertigen. Aber nachdem sie nun die Wahrheit über ihre Großmutter herausgefunden hatte, von ihren Motiven für ihr Handeln erfahren hatte, die – zumindest, was den letzten Diebstahl anging – auf reiner Selbstsüchtigkeit gründeten, konnte Lexie ihre Entscheidungen nicht mehr wie bisher betrachten. Es ging weniger darum, wie sie beide ihr Leben lebten, denn diesbezüglich gab es nicht allzu viele Ähnlichkeiten. Es waren eher die Beweggründe dafür. Das Geständnis ihrer Großmutter hatte Lexie veranlasst, tiefer in sich hineinzuhorchen.
Natürlich war es nicht nur die Vergangenheit ihrer Großmutter, die diese Selbstreflexion ausgelöst hatte. Es war vor allem Coop gewesen.
Ich habe dich mehr als nur gern, Lexie.
Diese sichtlich aus tiefstem Herzen gesprochenen Worte spukten immer noch in ihrem Kopf herum – besser gesagt, in ihrem Herzen.
Es war keine Liebeserklärung, denn sie hatte ihn,
wie ihr nur allzu bewusst war, davon abgehalten, so weit zu gehen. Es bedeutete mehr. Denn im Gegensatz zu allen Männern, mit denen sie vorher zusammen gewesen war, hatte sie Coop wirklich in ihr Herz gelassen. Er kannte sie manchmal besser, als sie sich selbst kannte. Er hatte ihre Familie kennengelernt, wusste, wie sie tickte.
Er war es auch gewesen, der sie darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie und ihr Vater einige Gemeinsamkeiten hatten, während sie jahrelang der Meinung gewesen war, sie wären so verschieden wie Tag und Nacht. Und genau deshalb war sie jetzt hier. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie bereit, auf ihren Vater zuzugehen. Sie wollte zugeben, dass sie zu stur gewesen war, um eine Beziehung zu ihren Eltern aufzubauen. Und sie erhoffte sich von ihm, dass er dasselbe von sich zugeben würde. Dann würde sich zeigen, wie es weitergehen konnte.
Lexie strich ihre elegante weiße Hose glatt und zupfte die kurzärmelige Seidenbluse zurecht. Sie hatte beide Kleidungsstücke als versöhnende Geste angezogen, für ihren Vater, um ihm und seiner Arbeitsstelle Respekt zu zollen. Sie atmete tief durch und gab sich einen Ruck. Also, los. Blieb nur zu hoffen, dass ihr Vater es schätzen würde, wenn sie ihre weiten Röcke und verschiedenen Armbänder zur Abwechslung bei ihrer Großmutter zu Hause gelassen hatte.
Ein paar Minuten später klopfte sie an die hölzerne Bürotür ihres Vaters. Die Luft war kühl von der Klimaanlage, die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf.
»Überraschung! «, sagte sie und betrat das Büro ihres Vaters. Sie hätte ihn vorher anrufen können, hatte sich aber ein Schlupfloch offen halten wollen, für den Fall, dass sie es sich doch noch einmal anders überlegte.
»Alexis! Das ist in der Tat eine Überraschung!« Ihr Vater erhob sich hinter seinem Schreibtisch, den sie als Kind stets furchteinflößend groß gefunden hatte. »Was ist los? Ist etwas passiert?«, fragte er sogleich.
Sie nahm es ihm nicht übel. Sie hatte ihn bisher nicht ein einziges Mal einfach so besucht, ohne Grund, und hätte sie die Wahl gehabt, wäre sie wohl überhaupt nie hergekommen.
»Ist mit Mutter alles in Ordnung? «, fragte er, als sie nicht sofort antwortete.
»Es geht ihr gut«, versicherte Lexie ihm schnell. »Und mir auch. «
Er wirkte verwirrt, was Lexie durchaus nachvollziehen konnte. Er konnte sich nicht vorstellen, wieso sie hier war.
»Ich hatte gehofft, wir könnten miteinander … reden. «
»Natürlich. Nimm doch Platz.« Er deutete mit der Hand auf einen Stuhl.
Lexie ließ sich auf einen der großen Sessel sinken, in denen sie schon als Kind gern gesessen hatte, weil man darin so schön mit den Beinen schlenkern konnte. Bis Margaret sie dafür gerügt hatte, dass sie herumzappelte wie ein Junge. »Eine Dame sitzt ganz ruhig da, mit überkreuzten Knöcheln«, hatte sie oft gesagt. Aber immerhin hatte Lexie überhaupt positive Erinnerungen
an dieses Büro. Wer hätte das gedacht?, dachte sie ironisch.
Sie holte
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