Küss mich Engel
geflochten, falls du das meinst.«
Er ergriff sie beim Arm und brachte sie zum Stehen. »Das meine ich nicht, und das weißt du ganz genau. Ich rede von all dem Extra-Training, das du ihr zukommen lässt.«
»Was ist damit?«
»Ich will nicht, dass du ihr falsche Hoffnungen machst. Du weißt, dass sie nicht das Zeug zu ‘ner richtigen Artistin hat.«
»Wer sagt das? Du hast ihr noch keine richtige Chance gegeben.«
»Machst du Witze? Ich arbeite mit ihr, seit sie hier ist, und sie stinkt noch genauso zum Himmel!«
»Ist das ein Wunder?«
»Und was soll das schon wieder heißen?«
»Es heißt, dass du ein großartiger Artist bist, aber ein lausiger Trainer.«
»Von wegen! Ich bin ein toller Trainer.« Er tippte sich mit dem Daumen an die Brust. »Ich hab meinen Söhnen alles beigebracht, was sie können.«
»Matt und Rob sind genauso dickschädelig wie du. Es ist was anderes, zwei junge Rowdies zu trainieren oder ein sensibles junges Mädchen. Wie kann sie überhaupt was lernen, wenn du sie die ganze Zeit anbrüllst?«
»Was zum Teufel weißt du schon von sensiblen jungen Mädchen? Von dem, was ich so höre, bist du mit purem Arsen gestillt worden.«
»Sehr witzig.«
»Mach mir bloß nicht weis, dein Alter hätte dich in Watte gepackt, als er dir den dreifachen Salto beibrachte.«
»Das brauchte er nicht. Ich wusste, dass er mich liebte.«
Er presste angriffslustig den Mund zusammen. »Willst du damit sagen, dass ich meine Tochter nicht liebe?«
Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Du Riesendummkopf. Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass es im Moment wichtiger ist, Heathers Vater zu sein statt ihr Trainer? Wenn du aufhören würdest, sie so gnadenlos anzutreiben, könnte sie vielleicht auch mal was lernen.«
»Wo sind wir denn hier? Bei Frau Schullehrerin, oder was?«
»Pass ja auf, was du sagst.«
»Da redet ja die Richtige. Ich warne dich, Sheba, mach nicht mit Heather rum. Es ist schon schwer genug für sie, auch ohne dass du sie gegen mich aufhetzt.«
Er stakste wutentbrannt von dannen.
Sie blickte ihm einen Augenblick lang nach, dann schloss sie die Tür zum roten Waggon auf und stampfte hinein. Sie und Brady stritten sich schon, seit sie einander begegnet waren, aber es bestand darüber hinaus auch eine starke sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen, die sie zur Vorsicht mahnte. Die Erfahrung - eine harte Erfahrung! - hatte sie gelehrt, vorsichtig zu sein, wenn es um die Männer ging, die sie sich als Liebhaber suchte, und an dem Tag, an dem sie Owen Quest geheiratet hatte, hatte sie sich geschworen, sich nie mehr einen Mann zu suchen, den sie nicht beherrschen konnte. Sie besaß eine selbstzerstörerische Ader, wenn es um Männer ging, die sie bereits zweimal beinahe kaputtgemacht hätte: zuerst Carlos Mendez und dann, weit schlimmer, Alex Markov.
Carlos Mendez hatte bezahlt, dafür hatte sie gesorgt, und auch Alex hatte seine Strafe bekommen, das durfte sie nicht vergessen. Sie trat ans Fenster und sah Daisy Markov, die sich gerade mit einer Heugabel abkämpfte. Sie tat ihr beinahe leid - wäre es irgend jemand anderer gewesen, sie hätte Mitleid gehabt aber Daisy war das Instrument für Alex‘ Bestrafung. Wie erniedrigend das für ihn sein musste.
Sie war fast sicher, dass Daisy schwanger war; es gab keinen anderen Grund, warum er eine derart nutzlose Frau geheiratet haben konnte. Aber sosehr sie Alex auch hasste, der Zirkus bedeutete ihr alles, und es kam ihr fast obszön vor, das Blut der Markovs - einer der berühmtesten Zirkusfamilien in der Geschichte - mit einer verzogenen kleinen Diebin wie ihr zu vermischen. Jedesmal, wenn sie Daisy sah, fragte sich Sheba, wie sie den Kopf hätte hochhalten können, wenn die Wahrheit über sie nicht herausgekommen wäre.
Daisy konnte sich später nicht daran erinnern, wie sie die ersten anderthalb Wochen überhaupt überlebt hatte, während der Zirkus langsam durch North Carolina zog und schließlich die Grenze zu Virginia überschritt. Tagsüber sah sie kaum etwas von Alex, außer wenn sie in seinem Pickup zum nächsten Spielort fuhren, und auch dann ließ er sich nur selten dazu herab, mit ihr zu sprechen. Wenn er es tat, dann in einem so eisigen Ton, dass Daisy das Gefühl hatte, mit Eispickeln gepiekst zu werden. Sie aßen nicht einmal mehr gemeinsam. Alex machte gewöhnlich irgendeine Dose auf, während sie sich im Bad für die Spec fertigmachte, und ließ ihr dann einen Teller davon stehen, während er sich anzog. Er fragte sie
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