Küss mich Engel
für mehr noch Zeit habe.«
»Du bist ab sofort von der Pflege der Elefanten befreit, und Trey kann die Menagerie übernehmen.«
»Die Menagerie ist meine Sache.«
»Auch recht. Du kannst ihn anleiten. Tatsache ist, Daisy, das Publikum mag dich, und Sheba möchte das ausnutzen. Ich nehm dich mit in meine Nummer.«
Sie starrte ihn verständnislos an.
»Morgen beginnen wir mit den Proben.«
Sie merkte, dass er ihrem Blick auswich. »Was denn proben?«
»Nun, im wesentlichen musst du bloß rumstehen und hübsch aussehen.«
»Was noch?«
»Du musst was für mich halten. Nichts Besonderes.«
»Etwas halten? Was soll das heißen - halten?«
»Was ich gesagt habe. Wir reden morgen drüber.«
»Sag‘s mir jetzt.«
»Du hältst was für mich, das ist alles.«
»Halten?« Sie schluckte. »Und du schlägst es mir mit der Peitsche aus der Hand, stimmt‘s?«
»Aus deiner Hand.« Er hielt inne. »Aus deinem Mund.«
Sie merkte, wie ihr Kopf blutleer wurde. »Aus meinem Mund?«
»Ist ein ganz gewöhnlicher Standardtrick. Hab ihn schon hundertmal gemacht, du brauchst dir also überhaupt keine Sorgen zu machen.« Er öffnete die Tür für sie und drückte ihr den Wäschekorb in die Hände. »Wenn du noch in der Bücherei vorbeischauen willst, gehst du jetzt besser. Bis später.«
Mit einem sanften Schubs beförderte er sie nach draußen. Sie wandte sich um, um ihm zu sagen, dass sie auf keinen Fall mit ihm in den Ring steigen würde, aber die Tür schloss sich, bevor sie ein Wort herausbrachte.
13
»Könntest du‘s diesmal vielleicht mal mit offenen Augen probieren?«
Daisy merkte, dass Alex allmählich die Geduld ausging. Sie standen hinter den Wohnwagen auf einem Baseballfeld in Maryland, ganz wie das, auf dem sie gestern gestanden hatten, und am Tag davor und die Tage davor, in den letzten zwei Wochen, seit sie mit dem Probieren begonnen hatten. Ihre Nerven waren so angespannt, dass sie fürchtete, sie könnten jeden Moment reißen.
Tater stand ein wenig abseits von ihr und blickte sie ein ums andere Mal sehnsüchtig seufzend an, um sich dann wieder dem Scharren in der Erde zu widmen. Nach ihrem Zusammenstoß mit dem kleinen Elefanten vor ein paar Wochen hatte Tater damit angefangen auszubrechen, um sie zu suchen, und schließlich war Digger gezwungen gewesen, ihn mit dem Bullenhaken zu bestrafen. Daisy konnte das nicht ertragen, also hatte sie prompt die Verantwortung für den kleinen Elefanten übernommen, zumindest tagsüber, wenn es am wahrscheinlichsten war, dass er sich losriss. Jeder im Zirkus, außer Daisy, schien sich an den Anblick gewöhnt zu haben, den sie mit dem kleinen Elefanten im Schlepptau bot.
»Wenn ich die Augen aufmach, zucke ich zusammen«, sagte Daisy zu ihrem peitschenschwingenden Göttergatten, »und du hast gesagt, es passiert mir nichts, solange ich mich nicht bewege.«
»Du hältst das Ding ja so weit von deinem Körper entfernt, dass du Schwanensee tanzen könntest, und ich würde dich nicht treffen.«
Da war was dran. Das Papierröhrchen in ihrer Hand war dreißig Zentimeter lang, und sie hielt es mit ausgestrecktem Arm, doch jedesmal, wenn die Peitsche knallte und ein Endchen der Röhre abflog, zuckte sie zusammen. Sie konnte nicht anders.
»Vielleicht mach ich morgen die Augen auf.«
»In drei Tagen stehst du im Ring. Du machst es also besser vorher.«
Daisy riss die Augen auf, als sie Shebas Stimme vernahm, ätzend und vorwurfsvoll. Die Zirkusbesitzerin stand etwas abseits neben einer von Alex‘ Peitschen, die aufgerollt wie eine Schlange am Boden lag. Sie hatte die Arme verschränkt, und ihr offenes, schulterlanges rotes Haar sprühte im Sonnenschein Funken.
»Du solltest dich inzwischen eigentlich daran gewöhnt haben.« Sie bückte sich und hob ein fünfzehn Zentimeter langes Papierröhrchen vom Boden auf. Das waren die eigentlichen Röhrchen, die Daisy während der Vorstellung halten sollte, doch bis jetzt war es Alex nicht gelungen, sie dazu zu bringen, mit irgendwas, das kürzer als ein Schullineal war, zu probieren.
Sheba rollte das kleine, zigarettenförmige Röhrchen zwischen den Fingern, dann schritt sie zu Daisy und stellte sich neben sie. »Mach Platz.«
Daisy wich zurück.
Sheba funkelte Alex herausfordernd an. »Lass sehen, was du drauf hast.« Sie wandte ihm ihr Profil zu, strich sich die Haare aus dem Gesicht und steckte sich das Röhrchen zwischen die Lippen.
Alex verharrte einen Moment lang regungslos, und Daisy hatte das Gefühl, dass etwas
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