Kuess mich - es ist Karneval
Cola”, vernahm man Roberto, und als Ellen sich umdrehte, sah sie ihn mit dem kleinen Mädchen im Türrahmen stehen.
Sie lächelte dem Kind zu. “Der Orangensaft kommt sofort”, sagte sie und wechselte wieder zurück ins Portugiesische.
Nachdem Yolanda gesagt hatte, was ihr auf dem Herzen lag, und ins Wohnzimmer zurückgekehrt war, belud Ellen das Tablett und brachte es ebenfalls dorthin. Robertos Stiefmutter nahm sich einen Keks. Sie schien sich überhaupt nicht für Robertos Verletzungen zu interessieren, sondern begann sofort über den Husten ihrer Tochter zu sprechen. Es folgten eine detaillierte Beschreibung der Masern, die alle drei Kinder im Jahr zuvor hatten, und ein Bericht über das, was sie in Campo Jordao unternommen hatten. Doch damit nicht genug, mußte sie nun noch ausführlich vom Ferienaufenthalt ihrer Eltern in den Vereinigten Staaten erzählen.
“Wir telefonieren täglich”, berichtete sie und wischte sich ein paar Krümel vom Mund.
Endlich stand sie auf, um sich zu verabschieden. “Es war nett, Sie kennenzulernen”, sagte sie zu Ellen. Ihre abweisende Haltung zeigte aber deutlich, daß sie kein weiteres Interesse an der jungen Engländerin hatte.
Nachdem Robertos Stiefmutter gegangen war, räumte Ellen das Geschirr ab. Yolanda unterscheidet sich wirklich sehr von meiner Mutter, dachte sie. Diese Frau ist kaltherzig, kleinbürgerlich und geistlos. Sie ist nicht in der Lage, sich mit irgend etwas anderem als nur mit sich selbst zu beschäftigen.
Am traurigsten aber ist, daß sie Conrado offenbar nie so geschätzt hat, wie er es verdient hätte. Sie hatte ein Juwel zum Ehemann gehabt, ohne sich dessen bewußt zu sein.
“Ich war zu hart zu dir”, sagte Roberto in ernstem Ton, als er die Stufen zum Wohnzimmer heraufkam.
Ellen sah ihn an. “Ja?” Sie fragte sich, was wohl als nächstes kommen würde.
“Damals vor zehn Jahren war ich zu hart, habe voreilige Schlüsse gezogen und dich zu schnell verurteilt, und seit du in Rio angekommen bist, war ich genauso. Es tut mir leid.” Er setzte sich auf die Sessellehne. “Nachdem ich dich damals für Conrados Unglück verantwortlich gemacht hatte und so lange wütend auf dich war, habe ich Wohl aus purer Gewohnheit diese Haltung dir gegenüber beibehalten. Aber jetzt, nachdem ich dich kennengelernt habe, ist mir klargeworden, daß du niemals die Gefühle anderer mit Füßen treten oder jemanden absichtlich verletzen würdest.”
“Ich habe begriffen, daß keiner ohne Fehler ist”, fuhr er mit ernster Miene fort. “Am allerwenigsten ich selbst, und ich kann es akzeptieren, daß man sich in manchen Situationen so verhält und nicht anders, selbst wenn man es möchte.” Roberto lächelte reumütig. “Meinst du, du kannst mir verzeihen? Können wir die Vergangenheit nicht begraben und neu beginnen?”
“Doch, ich glaube das könnten wir”, sagte Ellen und ließ sich auf das Sofa sinken.
Endlich war die Feindschaft zwischen ihnen begraben. Ihr war nach Lachen und Weinen zugleich zumute.
“Yolanda dachte, daß du die Geliebte meines Vaters gewesen seist”, fuhr Roberto fort.
Sie sah zu ihm herüber. “Du hast also zugehört.”
“Zwangsläufig, aber ihr habt Englisch gesprochen, was Natalya zum Glück nicht verstehen konnte.” Er zögerte. “Du warst nicht seine Geliebte, aber du hast ihn sehr geliebt.”
“Ja, sehr”, stimmte Ellen zu.
“War es diese Liebe, die eine Ehe mit Vivienne unmöglich machte.”
“Wie meinst du das?”
“Ich denke, Vivienne hatte die Tiefe deiner Gefühle erkannt und geglaubt, daß eine Heirat ihre Beziehung zu dir zerstören würde”, erklärte Roberto. “Und da sie Schuldgefühle hatte, weil sie dich als Kind allein gelassen hatte …”
“Ich habe Conrado geliebt, aber wie einen Vater!” protestierte Ellen. “Er hat mir den eigenen Vater ersetzt, den ich nie kennengelernt habe.”
“Wirklich?” fragte Roberto verwirrt.
“Ja! Wenn wir an den Wochenenden zusammen unterwegs waren, hoffte ich, alle Leute würden denken, er sei mein Vater.
Und wenn sie es taten, habe ich es nie richtiggestellt, denn ich war so glücklich darüber. Als Conrado aus unserem Leben verschwand, hat er eine schreckliche Lücke hinterlassen, wochenlang habe ich mich in den Schlaf geweint. Und”, sie fühlte plötzlich Tränen aufsteigen, versuchte jedoch, sie zu unterdrücken, “als du mir schriebst, daß er gestorben sei, habe ich wieder geweint.”
Roberto setzte sich neben sie. “Er hat dich auch
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