Küss mich hier und küss mich jetzt (Julia) (German Edition)
Knochen ihrer Wirbelsäule unter ihrem Kleid abgezeichnet hatten. Wie sie den Blick fest auf ihn gerichtet hielt, als habe die Welt um sie herum aufgehört zu existieren. Er erinnerte sich an das absolute Vertrauen in ihren Augen.
In Anbetracht der früheren Ereignisse an diesem Abend hatte ihn das am meisten überrascht. Aber es gab vieles an Sophie Greenham, das ihn überraschte … zum Beispiel ihre Fähigkeit ein billiges Kleid wie ein Designerstück aus der Bondstreet aussehen zu lassen. Oder wie sie ihm Paroli bot. Oder die Tatsache, dass ihr Kuss einen Mann ins Leben zurückgeholt hatte.
Und in einem anderen zum ersten Mal seit langer Zeit Gefühle geweckt hatte.
Er ließ seine verspannten Schultern kreisen und trat ans Fenster hinüber. Der Zwischenfall im Weinkeller schien Jahre, nicht erst wenige Stunden her zu sein. Er hatte sich eingeredet, er würde nur zu Jaspers Bestem handeln, hatte sich eingebildet, die Freundin seines Bruders zu verführen, diene nur dessen Schutz.
Kit verschränkte die Hände im Nacken und stellte sich der unbequemen Wahrheit, die Sophie ihm vorhin an den Kopf geworfen hatte. Geküsst hatte er sie vor allem, um zu beweisen, dass er recht hatte. Aber auch, um einen kleinen Sieg über die Frau zu erringen, die ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, seit dem Moment, in dem sie in sein Leben getreten war. An Jasper hatte er dabei kaum gedacht.
Nagende Schuldgefühle stiegen in ihm auf.
Jasper mochte nicht über die Stärke eines Soldaten verfügen, doch das gab Kit noch lange nicht das Recht, seine Freundin zu küssen. Und dann den Kuss so sehr zu genießen, dass er den ganzen Abend an nichts anderes denken konnte, als sie noch einmal zu küssen … bis zu dem Moment, als er ihr befohlen hatte zu gehen.
Abrupt wirbelte er herum und griff nach den Autoschlüsseln. Sein Verlangen nach Koffein verflüchtigte sich angesichts einer viel wichtigeren Aufgabe. Er musste umgehend nach Alnburgh zurück und sich vergewissern, dass Sophie Greenham noch dort war. Und dafür sorgen, dass sie blieb.
So lange Jasper sie brauchte.
Die Rücklichter des letzten Wagens des Cateringunternehmens verschwanden in der Dunkelheit. Jetzt war nur noch das leise Rauschen des Meeres hören. Zitternd vor Kälte wandte Sophie sich um und ging zurück ins Schloss. Mit steifen Fingern zog sie die massive Eichentür hinter sich zu.
Ein Teil von ihr wünschte nichts sehnlicher, als in einem der Autos zu sitzen und zurück in die Zivilisation zu fahren, in ein geheiztes Zimmer mit einem gemütlichen Bett.
Immer wieder liefen die Ereignisse des Abends vor ihrem geistigen Auge ab, angefangen bei Ralphs Zusammenbruch bis zu dem Zeitpunkt, als die Rettungssanitäter seine Versorgung übernommen hatten und Kit sie gelobt hatte. Gut gemacht.
Er hatte an dem Abend auch noch eine Menge anderer Worte gesagt, es war also völlig unlogisch, immer nur an diese beiden zu denken. Aber ein Lob aus seinem Mund schien ihr doppelt wertvoll. Und genau darin lag die größte Ironie überhaupt. Denn er gehörte nun einmal zu der Sorte Mensch, die eine Person wie sie niemals, nicht in einer Million Jahren, loben würden.
Und zwar weder die Person, für die er sie hielt – Jaspers untreue Freundin, sondern auch die echte Sophie Greenham nicht – aufgewachsen in einem VW-Bus, inmitten von Hippies und Aussteigern. Eine Person ohne Qualifikationen, die ihre einzige Chance sich welche anzueignen, vertan hatte, weil sie von der Schule verwiesen worden war. Eine Person, deren Nachname mitnichten bis zu William dem Eroberer zurückführte, sondern nur bis zu dem Camp, in dem ihre Mutter Feminismus, Cannabis und ihr inneres Ich entdeckt hatte.
Gerade, als sie weitergehen wollte, entdeckte sie ein Kleidungsstück auf dem Boden.
Kits Jackett.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Es war wirklich sehr kalt. Und unter gar keinen Umständen würde sie jetzt in den ersten Stock hinaufgehen, wo es noch kälter war und der Geist der Gräfin umging. Rasch schloss sie die Augen und schlüpfte in das Jackett. Sie atmete den Duft ein, der noch in dem Stoff hing, und erlaubte sich, sich einen Moment in der Erinnerung an jenen Kuss zu verlieren …
Ein Kuss, den es niemals hätte geben dürfen, rief sie sich ins Gedächtnis und schlug die Augen auf. Sie musste diese dumme Schwärmerei auf der Stelle im Keim ersticken. Sie war von vorneherein dem Untergang geweiht … was sie ja so attraktiv machte. Wollte sie nicht immer haben, was sie niemals
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