Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
gekommen waren. Nachts ein Wesen bei sich zu haben, seine Wärme und Zuneigung zu spüren, wäre eine enorme Hilfe gewesen.
»Wenn ich einmal Kinder habe, Max …« Sie brach ab und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, die ihr ungewollt in die Augen stiegen. Dann holte sie tief Luft und räusperte sich. »Wenn ich jemals Kinder haben sollte, sorge ich dafür, dass sie einen Hund wie dich bekommen.« Sie strich dem Hund zärtlich über den seidigen schwarzen Kopf. »Ich werde dich mehr vermissen, als ich sagen kann.«
Vielleicht würde sie ja, wenn sie wieder zurück in der Stadt war, dem Tierheim einen Besuch abstatten und einen Hund adoptieren, der sie möglicherweise mehr brauchte als sie ihn, obwohl das natürlich niemals dasselbe wäre.
»Du wirst für mich immer an erster Stelle stehen, Max«, sagte sie und setzte sich auf.
Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, vor der Schlaflosigkeit zu kapitulieren und aufzustehen, ein bisschen zu lesen, fernzusehen und sich eine Tasse von dem Spezialtee aufzubrühen, den Minerva ihr für Nächte wie diese geschenkt hatte.
Gillian knipste die Lampe auf dem Nachttisch an. Es war eine original Tiffany-Lampe mit dem typischen bleiverglasten Lampenschirm. Sie hatte sie die Woche zuvor auf der Antiquitätenmeile erstanden. Der Händler war bereit gewesen, ihr zusammen mit dem Nachttisch, einer sehr hübschen Frank-Lloyd-Wright-Reproduktion, einen überraschend fairen Preis zu machen.
Erst zu Hause hatte sie bemerkt, dass die Lampe und das Tischchen sich nicht nur perfekt in den Raum einfügten, sondern sie auch an Sam erinnerten. Damit war auch das Problem gelöst. Wenn sie in ein paar Monaten abreisen würde, sollte alles, was sie an Verbesserungen in diesem Haus vornehmen würde, einschließlich der Möbel, ihr Abschiedsgeschenk für Sam sein.
»Das Einzige, was ich aus Jacob herausbekommen habe, war: ›Es ist mein letztes Geschenk für Gillian.‹«
»Das letzte Geschenk«, sagte sie leise.
Seit ihrer Ankunft in Sweetheart wünschte Gillian sich wohl schon zum hundertsten Mal, ihr Großvater hätte ihr irgendeinen Fingerzeig, irgendeinen Hinweis darauf gegeben, was es mit dem so genannten Geschenk für sie auf sich hatte.
»Was, in aller Welt, hast du dir dabei bloß gedacht, Großvater?«, sagte sie laut und schwang die Beine über die Bettkante. »Warum hast du dich mir nicht zu deinen Lebzeiten anvertraut?«
Die meisten Leute, die Jacob Arnaud Charles gekannt hatten, waren sich darüber einig, dass er ein Sturkopf war. Er ging gern seiner eigenen Wege. Er hatte die Zügel lieber immer selbst in der Hand; das brauchte er einfach.
Als ein Mann mit Vermögen, Macht und gesellschaftlichem Einfluss hatte ihr Großvater sein Leben so gut wie immer im Griff. Doch bei dem Unfall, der seinen Sohn das Leben kostete, hatte er das Gefühl, in tragischer Weise die Kontrolle über sein Leben zu verlieren. Nein, er hatte nicht nur das Gefühl: Er verlor sie tatsächlich. Er war auch nicht fähig, daran irgendetwas zu ändern. Geld, Einfluss, Macht hatten keinerlei Bedeutung mehr. Die Enttäuschung darüber, dass er seine Familie nicht hatte schützen und retten können, hatte ihren Großvater verständlicherweise vorübergehend in eine Nervenkrise gestürzt.
Gillian seufzte und schlüpfte in ihre Pantöffelchen, die farblich auf ihren Seidenschlafanzug abgestimmt waren.
Vielleicht stellte sie sich ja die falsche Frage. Vielleicht sollte sie lieber fragen: Warum ausgerechnet Sweetheart, Indiana?
Was wusste sie überhaupt über diesen Ort in Zusammenhang mit ihrem Großvater? Nun gut, es war eine Stadt, zu der er vor mehr als sechzig Jahren Verbindungen hatte. Es war eine Stadt, mit der ihn offensichtlich lebenslange Freundschaften wie zum Beispiel die mit Fred Bagley verbanden. Es war eine Stadt, die ihm so am Herzen lag, dass er seit dem Kriegsende Dutzende von Geschäften und Immobilien aufgekauft hatte. Sams Aussage zufolge hatte er sogar noch sechs Monate vor seinem Tod eine Farm am Rande der Stadt erworben.
Und es war eine Stadt, die ihr Großvater ihr gegenüber nie erwähnt hatte, nicht ein einziges Mal.
Gillian griff nach ihrem Kaschmirmorgenmantel. Max sprang sofort aus dem Bett und bezog neben der Tür Stellung, wo er geduldig wartete und freudig mit dem Schwanz über den Boden wedelte.
Sie ging an ihm vorbei und gab ihm dabei einen freundschaftlichen Klaps. »Na, alter Knabe, wie wär’s mit einem kleinen Leckerchen, während ich mir eine Tasse
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