Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
Sam war wütend auf sie. Sie war sich ziemlich sicher, dass das mit dem Vormittag ihrer letzten Fahrstunde zusammenhing, als sie zu ihrem Haus – gut, Sams Haus – zurückkehrten und Edoardo dort antrafen.
Allerdings war Sam auch an dem Abend des Gemeindefestes sauer auf sie gewesen. Es war immer dieselbe paradoxe Leier: Man fühlte sich zu jemandem hingezogen, zu dem man sich nicht hingezogen fühlen wollte.
Sie wusste, wie er sich fühlte.
Vielleicht lagen die Ursachen ja noch weiter zurück. Vielleicht war es jener Maiabend, als sie in die Stadt gekommen und ihm das erste Mal in seinem Büro begegnet war. Er war wütend auf sie gewesen, weil sie nicht begriff, welche Macht und Kontrolle sie über seine Heimatstadt und deren Bewohner hatte.
Nun, Sweetheart, Indiana, zu besitzen, zumindest den größten Teil davon, und dort zwangsweise sechs Monate zu wohnen war auch nicht gerade ihre erste Wahl. Sie und Sam waren nun einmal aneinander gekettet, und damit musste er fertig werden.
Sie drückte wahllos die Knöpfe des Radios, bis sie James Taylor »Handy Man« singen hörte.
Sie hatte nicht die Absicht, sich das Herz brechen zu lassen. Um das zu wissen, brauchte sie keinen Mann – weder einen »Handy Man« noch sonst einen. Besten Dank. Sie drückte den Suchlauf.
Ein anderer Sender stellte sich ein, und sie hörte einen Sprecher sagen: »Unsere Sechs-Uhr-Nachrichten wurden Ihnen präsentiert von Demolition. Und vergessen Sie nicht, nichts rückt Ihren Getreidekäfern besser zu Leibe als Demolition Insektentod.« Kurz darauf fuhr der Moderator fort: »Die Wirklichkeit treibt manchmal noch seltsamere Blüten als die Fiktion, Herrschaften, besonders in der Landwirtschaft. Und speziell, wenn es um Landwirtschaft und Gesetze geht. Wie es scheint, sind die Bauern im United Kingdom neuerdings gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Schweinen Spielzeug zum Spielen zu geben. Andernfalls droht eine Geldstrafe.« Der Moderator gluckste vor sich hin. »Leute, das könnte auch bei uns passieren … an dem Tag, an dem die Schweine fliegen lernen.«
Gillian lachte mit dem Moderator mit. Sie lachte immer noch, als sie bei einem Blick in den Rückspiegel plötzlich bemerkte, dass ein anderer Pick-up ihr direkt an der hinteren Stoßstange klebte und ihr gesamtes Blickfeld ausfüllte.
Sie streckte ihre linke Hand aus dem Fenster und winkte den anderen vorbei. »Jetzt überhol schon.«
Der Pick-up blieb weiter dicht hinter ihr. Sie winkte erneut. Wer auch immer hinter dem Steuer saß, entweder hatte er ihre Geste nicht mitbekommen, oder das dichte Auffahren verschaffte ihm einen besonderen Kick. Der Fahrer schien entschlossen, den Abstand zwischen ihren beiden Fahrzeugen zentimetergenau zu schließen.
Gillian drückte auf das Gaspedal und sah, wie der Zeiger des Tachos um fünf, zehn, fünfzehn Meilen pro Stunde hochschnellte. Der andere Pick-up hielt das Tempo mit.
Es wurde Zeit, eine andere Strategie einzuschlagen. Sie nahm den Fuß vom Gaspedal und ließ ihren weißen Ford Ranger im Leerlauf weiterrollen. Der Tacho ging langsam runter. Fünfunddreißig, dreißig, fünfundzwanzig, fünfzehn. Bei diesem Schneckentempo würde der andere Fahrer sicher langsam die Geduld verlieren und sie endlich überholen.
Der übergroße Pick-up hinter ihr wurde ebenfalls langsamer und blieb ihr in beängstigender Weise auf den Fersen.
Gillian erkannte nicht, was es für ein Auto war. Sie sah nur, dass es schwarz und groß war und getönte Scheiben hatte. Sie konnte auch die Gestalt hinter dem Lenkrad nicht richtig ausmachen. Es hätte ebenso gut ein Mann wie eine Frau sein können.
»Was soll dieses blöde Katz-und-Maus-Spiel«, schimpfte sie mit Blick auf den Idioten hinter sich. »Ich habe für solche Spielchen noch nie etwas übrig gehabt.« Eine befahrene Straße oder eine Farm oder ein winziges Dorf müsste jetzt kommen, egal was, nur irgendein Ort, wo andere Menschen waren. Aber leider gab es rundherum nichts als Maisfelder, so weit das Auge blickte.
Gillian gab wieder Gas.
Der schwarze Pick-up folgte sofort.
Sie verlangsamte das Tempo.
Der Fahrer hinter ihr schien das Gleiche zu tun. Plötzlich ein dumpfer Knall, der Pick-up hatte ihre Stoßstange erwischt. Es war sicher ein Unfall, beruhigte sie sich. Das konnte doch nicht Absicht gewesen sein.
Gillian leckte sich die Lippen, überprüfte den Sicherheitsgurt und drückte das Gaspedal durch. Doch bevor sie noch an Geschwindigkeit gewinnen konnte, gab es einen weiteren Knall,
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