Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
letzte Stück von einem Cookie in den Mund und wischte sich die Krümel vom Schoß. »Diese so genannte Entfremdung zwischen euch beiden hat nichts mit Edoardo zu tun, oder?«
Ihre Besucherin ließ die Zungenspitze über ihre Lippen gleiten. »Warum sollte es? Edoardo ist nur ein alter Freund von mir.«
»Weiß Sam das?«
»Nehme ich doch an.« Gillian atmete hörbar aus. »Es stimmt nicht, dass Sam und ich verlobt sind.« Sie sah Anna direkt an und hielt ihrem Blick stand. »Tatsache ist, dass wir es auch niemals waren.«
»Ich weiß.«
Die Überraschung sorgte einen Moment lang für Schweigen. »Woher weißt du das?«
Anna wappnete sich innerlich für das, was kommen sollte. »Dein Großvater schrieb mir letzten Winter, kurz bevor er starb. Er berichtete mir, dass du nach Sweetheart kommen würdest. Er erwähnte auch, dass er Sam als deinen Anwalt bestellen wollte; aber da stand kein Wort über irgendeine Verlobung oder eine gelöste Verlobung zwischen euch beiden.«
Gillians grüne Augen verdunkelten sich zu dem Grün eines schattigen Waldes. »Warum sollte mein Großvater dir schreiben, um dir zu erzählen, dass ich in die Stadt käme? Ich wusste davon ja selbst nichts bis nach seinem Tod.«
Die perfekte Gelegenheit hatte sich gerade wie von selbst ergeben. »Das ist eine ziemlich lange Geschichte«, fing Anna an.
»Ich liebe lange Geschichten«, erklärte Gillian, stellte ihre eisgekühlte Limonade auf den Tisch und rückte mit ihrem Stuhl ein bisschen näher heran.
Anna überlegte es sich plötzlich anders. Sie öffnete den Mund und begann mit: »Es war einmal eine junge Frau – sie war eigentlich noch ein junges Mädchen -, die ihr ganzes Leben lang in einer Kleinstadt in Indiana verbracht hatte. Es war im Mai 1942, und Sweetheart feierte gerade sein jährliches Gemeindefest. Das Mädchen ging an diesem Abend widerstrebend und nur auf Drängen ihrer Freunde dorthin.« Die Worte strömten aus Anna fast unbewusst heraus. »Sie traf dort einen jungen Mann, einen Soldaten, der auf der nahe gelegenen Militärbasis stationiert war. Sie tanzten und sprachen und lachten miteinander. Dann tanzten und sprachen und lachten sie noch ein bisschen mehr miteinander. Sie war von dem jungen Offizier fasziniert. Er war witzig, intelligent und für sein Alter schon sehr reif. Außerdem hatte es den Anschein, als wäre er bereits überall gewesen und hätte alles gesehen, wovon sie nur träumen konnte.« Sie zupfte sich ein zartes Strähnchen ihres weißen Haars aus dem Gesicht und sah Gillian an. »Ich bin sicher, du hast inzwischen erraten, wer die junge Frau war.«
Gillian nickte. »Und der Soldat war mein Großvater.«
Anna atmete noch einmal tief durch und sagte dann: »Das war der Abend, an dem ich mich in Jacob Charles verliebt habe.«
Kapitel 24
Das war eine uralte Geschichte, dachte Gillian, als sie eine Stunde später in ihren Pick-up stieg. Sie legte den Gang ein, ließ die Kupplung los und fuhr Richtung Westen aus der Stadt hinaus.
Also warum hatte Anna ihr diese Geschichte erzählt?
Weil du sie danach gefragt hast, deshalb.
Gut, sie hatte sie tatsächlich gefragt. Sie war einfach neugierig gewesen, warum ihr Großvater einer Frau geschrieben hatte, die er seit über sechzig Jahren nicht gesehen hatte. Warum hatte er Anna in seinen Plan eingeweiht, sie nach Sweetheart zu schicken, während sie selbst von dem Plan erst nach seinem Tod und nur über ihre Anwälte erfahren hatte?
Auf so eine Antwort war Gillian beileibe nicht gefasst gewesen. Nicht dass sie schockiert war – ja, sie war nicht einmal überrascht gewesen, wie sie jetzt feststellte -, als sie erfuhr, dass ein achtzehnjähriges Mädchen namens Anna Rogozinski und ein zweiundzwanzigjähriger Leutnant namens Jacob Charles im Sommer 1942 eine Liebesaffäre miteinander gehabt hatten.
Vielleicht war es etwas, das sie auf der Schwarzweißfotografie, die sie von Minerva geschenkt bekommen hatte, instinktiv erfasst hatte. Der Himmel wusste, wie oft sie sich in den vergangenen Monaten dieses Foto angesehen hatte. Vielleicht hatte die Körpersprache zwischen den beiden irgendeinen subtilen Hinweis darauf gegeben, dass die beiden ein Paar waren, auch wenn drei Personen auf dem Schnappschuss zu sehen waren.
Vielleicht war es aber auch die Art gewesen, wie Anna auch nach all den Jahren noch den Namen ihres Großvaters ausgesprochen hatte.
Die Entdeckung, dass ihr Großvater auch nur ein Mensch gewesen war – er war ihr immer so
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