Küss mich, wenn Du kannst
wischte sie nicht weg, sondern ließ sie einfach fließen und überdachte die Situation. Mit klarem Kopf zog sie Bilanz. Und als sie endlich einschlummerte, wusste sie, was sie tun musste.
Heath hörte Annabelle in ihr Schlafzimmer gehen. Doch er rührte sich nicht. Jetzt, da der Hunger seines Körpers gestillt war, wurde ihm sein verachtenswertes Verhalten schmerzlich bewusst. Aus diesen süßen honigbraunen Augen hatte ihm eine ganze Welt voller Emotionen entgegengeschaut, die er nicht ergründen wollte.
Jetzt fühlte er sich wie ein elender Schuft. Sie hatte ihn vor der Katastrophe gewarnt. Aber er hatte sein ganzes Leben auf der Methode aufgebaut, Hindernisse einfach niederzureißen, alle Straßensperren zu durchbrechen. Und so war er drauflos geprescht, ohne das Offensichtliche zu berücksichtigen. Obwohl er ihr Recht gab, begehrte er sie. Nur das zählte. Deshalb hatte er seine Gelüste befriedigt - zum Teufel mit den Konsequenzen. Zu spät erkannte er, was das Desaster für Annabelle bedeutete - beruflich und privat. Ihre Gefühle waren beteiligt. Das hatte er in ihrem Gesicht gelesen. Natürlich konnte sie nicht mehr als seine Heiratsvermittlerin fungieren.
Er drehte sich zur Seite und drosch seine Faust auf die Matratze. Verdammt, was hatte er sich bloß dabei gedacht? Gar nichts. Darin lag das Problem. Er hatte nur reagiert und letzten Endes bekommen, worauf er so versessen gewesen war, und dabei hatte er Annabelles Träume zerstört. Dafür musste er sie entschädigen.
In seinem Gehirn nahm ein Plan Gestalt an. Er würde ihre Agentur überall anpreisen und zahlungskräftige Klienten für sie aufspüren. Mit der Hilfe seiner PR-Leute und Medienkontakte würde er die Werbetrommel für Perfect for You rühren. Immerhin war das eine interessante Story - eine Heiratsvermittlerin in der zweiten Generation, die das antiquierte Geschäft ihrer Großmutter ins einundzwanzigste Jahrhundert führte. Auf diese Idee hätte Annabelle selber kommen müssen. Leider bewegten sich ihre Gedanken nicht in so kreativen Bahnen.
Eins musste allerdings ein Ende finden - sie durfte ihm keine Heiratskandidatinnen mehr vorstellen. Das würde ihr das Herz brechen. Andererseits fand er es in seiner Selbstsucht keineswegs erstrebenswert, dass sie nicht mehr für ihn arbeiten sollte. Er wollte sie in seiner Nähe haben. So vieles hatte sie in seinem Leben vereinfacht. Zum Dank hatte er sie benutzt, um seine niedrigen Triebe zu befriedigen.
Wie der Vater, so der Sohn.
Seine Verzweiflung fühlte sich alt und vertraut an, sie glich dem Klang einer rostigen Wohnwagentür, die nachts ins Schloss fiel.
Wann er wieder eingeschlafen war, wusste er nicht. Jedenfalls musste es passiert sein, denn die Erde erzitterte im hellen Tageslicht. Er öffnete ein Auge, sah ein Gesicht, das er nicht anzuschauen wagte, und drehte seinen Kopf ins Kissen. Noch ein kleines Erdbeben erschütterte die Matratze. Unwillig hob er die Lider und blinzelte, geblendet von einem Sonnenstrahl, der ihn direkt zwischen die Brauen traf.
»Wach auf, du wundervolles Geschenk an die Weiblichkeit«, zirpte eine Stimme.
Sie saß neben ihm auf dem Verandaboden, eine Kaffeetasse in der Hand, ein nacktes Bein ausgestreckt, so dass sie mit ihrem Fuß die Matratze anstoßen konnte. Zu ihren hellgelben Shorts trug sie ein violettes T-Shirt, das mit einem grotesk karikierten Troll und der Aufschrift AUCH WIR SIND MENSCHEN bedruckt war. In wild zerzausten Locken umgab das rote Haar ihr Koboldgesicht, ihre Lippen schimmerten rosig, und ihre Augen leuchteten glasklar, was auf seine eigenen sicher nicht zutraf. Sie sah kein bisschen verstört aus. Scheiße. Also glaubte sie, die letzte Nacht hätte alles geändert. Er fühlte sich elend. »Später.« Nur mühsam rang sich das Wort aus seiner Kehle.
»Nein, es kann nicht warten. Wir treffen die anderen zum Frühstück im Pavillon. Vorher muss ich mit dir reden.« Sie hob eine zweite Tasse vom Boden auf und hielt sie ihm hin. »Trink das, es wird dir die Rückkehr in die Wirklichkeit erleichtern.«
Für dieses Gespräch musste er wach sein. Aber er kam sich vor wie der Boden eines schmutzigen Aschenbechers. Vorerst war er dieser Diskussion nicht gewachsen, er wollte sich einfach nur abwenden und wieder einschlafen. Andererseits schuldete er ihr was Besseres. Also stützte er sich auf einen Ellbogen, nahm die Kaffeetasse entgegen und versuchte, die Spinnweben aus seinem Gehirn zu verscheuchen. Ihr Blick folgte dem Laken, das zu
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