Küss mich, wenn Du kannst
Doch er war zu aufgedreht, um nach Hause zu fahren, und er wollte persönlich mit ihr reden. Also schlug er die Richtung zum Wicker Park ein, und sein Bariton untermalte die Radiomusik laut und falsch.
Annabelle öffnete die Tür in einem gestreiften Top mit V-Ausschnitt und einem blauen Minirock, der ihre Beine fantastisch zur Geltung brachte.
»Hätte ich mein Ultimatum bloß schon früher gestellt!«, begann er. »Sobald du unter Druck stehst, weißt du, was du zu tun hast.«
»Ja, ich dachte mir, dass du sie magst.«
»Hat sie dich schon angerufen?«
Wortlos nickte sie, und er runzelte die Stirn. Vielleicht hatte das Date doch nicht so gut geklappt, wie er vermutete. In Delaneys Adern floss blaues Blut. War ihr eine etwas zu intensive Witterung vom Wohnwagenpark in die Nase gestiegen?
»Vor ein paar Minuten habe ich mit ihr geredet«, sagte Annabelle schließlich. »Sie ist hingerissen. Herzlichen Glückwunsch.«
»Tatsächlich?« Also hatte ihn sein Instinkt nicht getrogen. »Großartig. Wollen wir feiern? Wie wär‘s mit einem Bier?«
Annabelle rührte sich nicht. »Im Augenblick - ist es nicht so günstig.«
Als sie über ihre Schulter spähte, wusste er Bescheid. Deshalb das frische Lipgloss und der blaue Mini. Seine gute Laune verflog abrupt. Wer besuchte sie?
Er schaute über ihren Scheitel hinweg. Doch der Raum hinter ihr war leer. Was keineswegs auf ihr Schlafzimmer zutreffen musste... Mit einiger Mühe bezwang er den Impuls, an ihr vorbeizustürmen und sich Klarheit zu verschaffen. »Kein Problem«, erwiderte er kühl. »Nächste Woche rufe ich dich an.«
Aber statt sich abzuwenden, blieb er stehen. Nach einer Weile nickte sie und schloss die Haustür.
Vor fünf Minuten hätte er vor lauter Glück Bäume ausreißen können. Und jetzt wollte er gegen irgendetwas treten. Er kehrte zu seinem Auto zurück, stieg ein, und als er aus der Parklücke fuhr, fielen seine Scheinwerfer auf das Vehikel am anderen Straßenrand. Vorhin war er zu sehr mit seinem fabelhaften Erfolg beschäftigt gewesen, um es zu bemerken. Das hatte sich inzwischen geändert.
Das letzte Mal hatte er diesen grellroten Porsche auf dem Parkplatz des Hauptquartiers der Stars gesehen.
Annabelle schleppte sich in die Küche. In einer Hand eine Cola, in der anderen Spielkarten, saß Dean am Tisch. »Du gibst.«
»Jetzt will ich nicht mehr spielen.«
Seufzend warf er die Karten auf den Tisch. »Heute Abend bist du nicht besonders amüsant.«
»Bildest du dir etwa ein, du wärst ein umwerfender Spaßvogel?«
Beim Footballspiel am letzten Sonntag hatte sich Kevin den Knöchel verstaucht. Deshalb war Dean im zweiten Viertel für ihn eingesprungen. Vor dem letzten Pfiff waren vier seiner Bälle abgefangen worden. Seither nahm ihn die Presse in die Mangel, und so hatte er beschlossen, sich vorerst bei Annabelle zu verkriechen.
Aus dem Hahn über dem Spülbecken tropfte Wasser, und das irritierende Plop-Plop-Plop zerrte an ihren Nerven. Wie gut Heath und ihre Freundin zusammenpassen würden, hatte sie gewusst. Die betörende Kombination von Delaneys Schönheit, ihrem sportiven Flair und ihrer untadeligen Herkunft hatten Heath vom Hocker gehauen. Und Delaney war schon immer ganz verrückt nach Machos gewesen. Annabelle hatte sie vor einundzwanzig Jahren in einem Ferienlager kennen gelernt. Obwohl Delaney zwei Jahre jünger war, schlossen sie eine innige Freundschaft. Nach dem Ende des Ferienlagers sahen sie sich seltener, vor allem in Chicago, wenn Annabelle ihre Großmutter besuchte. Während sie studierten, lebten sie sich auseinander. Erst vor ein paar Jahren hatten sie sich wieder gesehen. Nun trafen sie sich alle paar Monate zum Lunch, nicht mehr als beste Freundinnen, aber immer noch als gute Bekannte mit gemeinsamen Erinnerungen. Annabelle sagte sich schon seit Wochen, dass Delaney genau die Richtige für Heath wäre. Warum hatte sie so lange gezaudert, die beiden einander vorzustellen?
Weil sie ganz genau gewusst hatte, wie gut sie sich verstehen würden.
Sie beobachtete Dean, der Popcorn in die Luft warf und mit dem Mund auffing. Hätte er bloß seine Pässe auf dem Footballfeld genauso akkurat gezielt. Sie drehte den tropfenden Wasserhahn zu, dann sank sie wieder auf ihren Küchenstuhl. In ihrer düsteren Stimmung war sie eine verwandte Seele.
Nun hörte der Kühlschrankmotor zu summen auf. Tiefe Stille erfüllte die Küche, nur vom Ticken der Gänseblümchenuhr und dem leisen Geräusch des Popcorns unterbrochen, das
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