Küss mich, wenn Du kannst
irgendwas am Boden hängen. Als sie sich befreite, überlegte sie, wie so ein schäbiges Etablissement in der Nähe der besten Restaurants an der Clark Street existieren konnte.
»Zwei Bier«, bestellte der Leibwächter.
Vorsichtig kletterte Portia auf den Hocker an seiner Seite. »Ein Mineralwasser mit einer Zitronenscheibe.«
»Hier gibt‘s keine Zitrone«, erwiderte der Barkeeper. »Aber im Hinterzimmer könnte ich eine Dose Fruchtcocktail aufstöbern.«
Das fand der Muskelprotz umwerfend komisch. Eine Minute später starrte sie den schwachen Abdruck eines Lippenstifts am Rand ihres Bierglases an. Hastig schob sie es beiseite. »Woher wussten Sie, wer ich bin?«
»Weil Heaths Beschreibung auf Sie passt.«
Wie Champion sie beschrieben hatte, wollte sie gar nicht wissen. Sie würde auch keine weiteren Fragen stellen, solange sie die Antwort nicht vorausahnte. Jedenfalls wurde ihre Beziehung zu Heath ernsthaft gestört, seit Annabelle Granger aus heiterem Himmel aufgetaucht war. »Ich werde mich nicht entschuldigen, nur weil ich meinen Beruf ausübe. Immerhin zahlt Heath mir eine Menge Geld, damit ich ihm helfe. Das wird mir nicht gelingen, wenn er mir Informationen vorenthält.«
»Also ist‘s okay, wenn ich ihm von Ihrer Schnüffelei erzähle?«
»Was Sie Schnüffelei nennen, betrachte ich als legitime Methode, mein Honorar zu verdienen.«
»So wird ers wohl kaum sehen.«
Daran zweifelte sie ebenso wenig. Trotzdem ließ sie sich nicht beirren. »Sagen Sie mir, was Sie wollen.« Während er darüber nachdachte, beobachtete sie ihn. Die Gedanken anderer Menschen zu erraten - diese Fähigkeit bildete eine der wichtigsten Grundlagen ihres Jobs. Aber ihre Klienten waren reich und gebildet. Wie sollte sie herausfinden, was hinter den Eispickelaugen dieses Proleten geschah? Sie hasste es, im Dunkeln zu tappen. »Nun?«
»Das muss ich mir erst mal überlegen.«
Portia öffnete ihre Handtasche, nahm zwei Fünfzig-Dollar-Scheine heraus und legte sie auf die Theke. »Vielleicht wird das diese schwierige Prozedur beschleunigen.«
Eine Zeit lang starrte er das Geld an. Dann zuckte er die Achseln und verlagerte sein Gewicht auf dem Barhocker, um die Banknoten in seine Hosentasche zu stecken. Seine Hüften waren viel schmaler als die Schultern, die Schenkel ungewöhnlich kraftvoll.
»Okay, vergessen wir diesen Abend«, schlug sie vor.
»Moment mal. Ich weiß nicht so recht... Da gibt‘s eine ganze Menge zu vergessen, sogar für jemanden wie mich.«
Jetzt musterte sie ihn etwas genauer. Spielte er mit ihr? Aber seine Miene blieb unerforschlich.
»Reden wir nächstes Wochenende drüber«, fuhr er fort. »Sagen wir, am übernächsten Freitag. Warten wir ab, was bis dahin passiert.«
Damit hätte sie nie gerechnet. »Lieber nicht...«
»Ich würde Sie schon dieses Wochenende treffen. Doch da bin ich nicht in der Stadt.«
»Was werden Sie tun?«
Gleichmütig erwiderte er ihren prüfenden Blick. Sein Mund war fein gezeichnet, beinahe zart. Deshalb wirkten seine übrigen Züge umso unheimlicher. »Wenn ich mich entschieden habe, gebe ich Ihnen Bescheid.«
»Kommt gar nicht in Frage. Ich lasse mich nicht hinhalten.« Wieder einmal versuchte sie, ihn mit einem scharfen Blick zu verunsichern. Zu ihrem Leidwesen tat er ihr den Gefallen nicht. Stattdessen verzogen sich seine Lippen zu einem dreisten Gangstergrinsen.
»Wirklich nicht? Sind Sie sicher? Wenn ja, rede ich noch heute Abend mit Heath.«
»Also gut«, stimmte sie zähneknirschend zu. »Nächsten Freitag.« Sie glitt vom Barhocker und öffnete ihre Handtasche. »Da ist meine Visitenkarte. Legen Sie mich bloß nicht rein! Das würden Sie bereuen.«
»Wahrscheinlich.« Seine Augen wanderten über ihren Körper wie heißes Karamell auf Eiscreme. »Wie auch immer - es könnte interessant werden.«
Irgendetwas Schwindelerregendes, Unerwartetes durchströmte ihre Adern. Verwirrt schloss sie ihre Handtasche und flüchtete von spöttischem Gelächter verfolgt aus der Bar.
Die nächste Power-Matches-Kandidatin war strahlend schön, aber schrecklich eitel, und Annabelle steuerte die Konversation in eine Richtung, die diesen Makel offenbarte. Darum hätte sie sich nicht bemühen müssen, denn Heath durchschaute die Frau auf Anhieb. Aber er begegnete ihr sehr respektvoll, und Annabelle merkte, dass er nicht ganz so egozentrisch war, wie sie gedacht hatte. Offensichtlich fand er die menschliche Natur in all ihren Erscheinungsformen interessant. Bei dieser Erkenntnis
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