Küss mich, Werwolf - Warren, C: Küss mich, Werwolf - Wolf at the Door (Others 01)
ihres Seminars aus dem kleinen Hörsaal und knipste erleichtert das Licht aus. Normalerweise ging sie ganz in ihrer Lehrtätigkeit auf und hätte eigentlich noch ein paar Nacharbeiten erledigen wollen, aber heute wünschte sie sich nichts sehnlicher, als nach Hause zu fahren und zu einem gewissen Wolf, der ihr während der letzten anderthalb Tage nicht allzu viel Schlaf gegönnt hatte, unter die Bettdecke zu kriechen.
Allerdings gab es dabei zwei Probleme. Das eine bestand darin, dass er sich im Augenblick gar nicht in ihrem Bett befand, weil sie ihn gestern Abend hinausbefördert hatte; das zweite darin, dass sie einhundertfünfzig neue Klausuren zum Korrigieren mit nach Hause brachte.
Das schrie nach Kaffee.
Nachdem die Entscheidung gefallen war, schulterte sie ihren Rucksack fester und verließ den Campus, um ihren drei Häuserblocks entfernten bevorzugten Coffeeshop aufzusuchen. Er wurde von einem Gnom geführt, den die meisten menschlichen Gäste für einen ausgesprochen missgelaunten Zwerg hielten; Cassidy wusste, dass das Geheimnis, in diesem Café nicht mit Hausverbot belegt zu werden, darin bestand, dass man sich regelmäßig dort blicken ließ und stets in höchsten Tönen das Angebot pries. Gnome schmolzen bei dem geringsten Kompliment nur so dahin.
Es war wie üblich wenig los in dem Shop, als sie beim Eintreten vom Aroma warmen Kaffeeduftes umfangen wurde. Cassidy nickte, winkte der Bedienung zu und schlängelte sich dann zwischen den eng zusammenstehenden Tischen hindurch zu ihrer Lieblingsecke am hinteren Fenster. Von hier gab es nicht viel zu sehen, bloß einen kleinen Innenhof, der im Sommer zusätzliche Plätze bot, aber sie war eben ein Gewohnheitstier. Und außerdem machte es ihr Spaß, den Eichhörnchen zuzuschauen. Sowie sie sie ans Fenster kommen sahen, huschten sie davon wie rasende Kobolde.
Sie machte es sich mit einem Becher Café au Lait, den sie sich vom Tresen geholt hatte, gemütlich, und bewaffnete sich mit einem roten Filzschreiber, um damit über die Stellungnahmen ihrer Erstsemester zur tieferen Bedeutung und den Grenzen der Kultur herzufallen. Zum Glück wuchsen Erstsemester zu erfahreneren Studenten heran, so dass ihre Semesterarbeiten irgendwann anfingen, einen Sinn zu ergeben.
Ihr Stift flog nur so über die Seiten, und binnen einer Stunde waren schon allerhand – wenn auch noch nicht berauschend viele – Arbeiten von dem einen auf den nächsten Stapel gewandert. Ihr Kaffeebecher hatte sich hingegen beträchtlich geleert, so dass es unumgänglich wurde, die Bedienung zum Nachschenken heranzuwinken.
Sie streckte ihren geschundenen Rücken und blickte sich nach einer Angestellten um. Stattdessen schlüpfte eine hochgewachsene, blonde Frau mit blassem Teint ihr gegenüber auf die Sitzbank ihrer Nische und starrte sie aus eisblauen Augen an.
Cassidy schürzte die Lippen.
»Oh, hallo. Was kann ich für dich tun, Grendel?«
»Gretel.«
»Wie auch immer.«
Die andere Frau hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als sie Cassidy wegen ihres Namens korrigierte – und das nicht zum ersten Mal. Entweder hatte sie nie von Beowulf und dem Troll Grendel gehört, oder sie fand nicht sonderlich viel dabei, stets nur mit einem Anflug von Spott betrachtet zu werden.
Cassidy hatte diese nordische Eiskönigin, die als eine Art Mädchen für alles der Anderen fungierte, noch nie sonderlich gemocht. Sie hatte etwas von einem Supermodel – magersüchtig schlanke Glieder, scharf konturierte, hohle Wangen und vorstehende Hüftknochen –, und schleimig war sie noch dazu. Über ihr Privatleben wusste Cassidy nicht sehr viel – nur, dass sie die Liebhaberin – oder der Zeitvertreib – einer Reihe der vermögenderen und weniger auf ethische Werte bedachten Anderen von Manhattan gewesen war, und mehr wollte sie, ehrlich gesagt, über sie auch gar nicht in Erfahrung bringen. Es war nur einfach so, dass sie sich unwohl in der Gegenwart von Menschen fühlte, denen es an Seele fehlte. Wenn Vampire, Werwesen, Zauberer, Hexen und Feen eine Seele haben konnten, dann sollte man das doch auch von einem menschlichen Wesen erwarten können.
»Was möchtest du?«, fragte Cassidy nach einem kurzen, von auf Gegenseitigkeit beruhender Abneigung geprägtem Schweigen.
»Ein Treffen.«
»Sieht aus, als wäre neuerdings die halbe Stadt ganz wild auf eine Audienz bei mir.«
Sie konnte sich eine Spur Sarkasmus nicht verkneifen.
Gretel zuckte nur mit den Schultern, wobei sich ihr langes, fast
Weitere Kostenlose Bücher