Küss mich, Werwolf - Warren, C: Küss mich, Werwolf - Wolf at the Door (Others 01)
Moment für ein Streitgespräch. Wenn der Rat dich zu sehen wünscht, wirst du selbstverständlich vor ihm erscheinen. Und dann wirst du eben gehen müssen, wie du bist. Wir haben jetzt keine Zeit mehr für einen Kleiderwechsel und können nur hoffen, dass man an deinem Aufzug keinen Anstoß nimmt.«
Das war eine ganz beachtliche Kehrtwendung für eine Frau, die noch vor zehn Minuten so getan hatte, als würde die gesamte zivilisierte Welt den Bach hinuntergehen, falls eines der Ratsmitglieder ihre Enkelin in sportlicher Freizeitkleidung erblickte – ganz zu schweigen davon, dass die alte Dame tatsächlich ziemlich aus dem Häuschen zu sein schien, was bei Adele eigentlich nicht vorkam . Denn das würde bedeuten, dass sie das Universum nicht mehr ganz fest im Griff hatte.
»Nana, es kostet mich weniger als eine Minute, meine Sachen zu holen und hinterherzukommen.«
»Nein. Wir werden den Rat nicht warten lassen. Komm sofort mit.«
Adele ließ gar nicht erst Widerworte aufkommen; sie wandte sich abrupt ab, stieß noch einmal energisch mit ihrem Stock auf den Boden und machte sich mit geradezu ehrfurchtgebietender Grazie auf den Weg.
Cassidy sah ihr nach und zog ihrerseits die Stirn in Falten.
»Ich frage mich, ob das das Ende der Welt bedeutet.«
»Ich weiß es nicht«, ließ der Mann hinter ihr sich vernehmen.
Seine steinerne Maske bekam dünne Risse, so dass Cassidy einen Anflug von Neugier in seinem Gesicht erahnen konnte.
»Falls aber nicht, nähern wir uns wohl gerade einem Umbruch, denn ich habe diese Leute noch nie so aufgebracht gesehen. Und ich werde nächsten Monat immerhin schon zweihundertsiebenundvierzig.«
Als er sprach, hatte Cassidy aus den Augenwinkeln seine spitzen Eckzähne gesehen und festgestellt, dass selbst er besorgt die Stirn runzelte. Was auch immer den Rat so in Aufregung versetzt hatte, war offenbar auch ernst genug, um einem zweihundertsiebenundvierzig Jahre alten Vampir Angst einzuflößen. Oh ja. Nun versprach dieser Abend doch noch interessant zu werden.
6
Die Neuigkeit, die Quinn erfuhr, sowie er wieder zu der Partygesellschaft gestoßen war, kühlte seine Libido nicht minder gründlich ab wie ein Strahl aus einer kalten Dusche – falls der Vergleich gestattet sei.
»Was hast du da eben gesagt?«
Er hatte alles vollkommen verstanden, aber der Schock setzte seine Lippen in Bewegung, ehe er ihnen Einhalt gebieten konnte.
»Ysabel Mirenow ist verschwunden«, wiederholte Richard Maccus mit einem beinahe so tadellosen wölfischen Knurren, dass man ihn glatt für einen Iren hätte halten können, und das hatte schon etwas zu bedeuten, wenn man bedachte, dass die britische Abordnung bei diesem Treffen aus einem Schotten und einem Seelöwenmenschen bestand, einem Angehörigen jenes ständig seine Gestalt verändernden Küstenvölkchens, das an den zerklüftetsten Rändern des britischen Inselreiches hauste. Er musste es sich in den mindestens zehn Jahren, die er nun schon eng mit Quinn befreundet war, bei ihm abgelauscht haben.
»Es ist soeben eine Meldung aus Moskau eingegangen. Sie ist irgendwann gegen gestern Abend verschwunden, also gestern Nachmittag in der hiesigen Zeitzone. Machte gerade einen Einkaufsbummel. Niemand hat etwas beobachtet, aber Gregor ist unruhig geworden, als sie nicht rechtzeitig zurück war, um ihn in die Oper zu begleiten.«
Quinn stieß einen stummen Fluch aus. Gregor Kasminikov war vermutlich der mächtigste Vampir in ganz Osteuropa. Schon vor dem Fall der Sowjetunion war er reich wie Krösus gewesen und hatte sein Vermögen durch Schwarzmarktgeschäfte seitdem immer noch weiter vermehrt. Außerdem hatte er in der Region mehr Macht an sich gerissen, als die meisten Regierungen besaßen; allerdings hatte er dafür ja auch fast fünf Jahrhunderte Zeit gehabt. Ysabel, seine menschliche Gespielin, hielt er sich erst seit ungefähr sechzig Jahren, aber für eine Frau, die überhaupt nicht zu altern schien, hatte das längst ausgereicht, um eine Menge Informationen über die Welt der Anderen zu sammeln – Informationen, für die gewisse Menschen über Leichen gehen würden, um sie zu besitzen.
»Und es kann nicht sein, dass sie ihm einfach davongelaufen ist?«, fragte Quinn.
»Möglicherweise hatten sie einen Ehekrach. Schließlich ist Gregor nicht gerade ein Ausbund an Treue, wie man so hört.«
»Nein. Er schwört, er hätte sich schon lange keinen Fehltritt mehr geleistet. Das ist ja das Erschreckende. So lange ist es dem Mann seit Ewigkeiten
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