Küsse auf Eis - True Love and other Disasters
war er tot, und sie fühlte sich schrecklich allein. Sie war traurig und erschöpft, weil sie ihren Ehemann und den besten Freund, den sie je gehabt hatte, begraben hatte. Sie wusste, dass manche Menschen Virgil nicht gemocht hatten. In seinen einundachtzig Jahren hatte er sich viele Feinde gemacht. Aber zu ihr war er gut gewesen, besonders in einer Zeit, in der sie nicht immer gut zu sich selbst gewesen war.
Sogar noch nach seinem Tod war er gut zu ihr. Seine diversen Wohltätigkeitsvereine hatte Virgil gestiftet, und der größte Teil seines milliardenschweren Nachlasses war an seinen einzigen Sohn, Landon, gegangen, an dessen drei Kinder und acht Enkel. Aber Faith hatte er das Penthouse in Seattle vermacht, fünfzig Millionen Dollar und sein Eishockeyteam. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran dachte, wie sehr das seine Familie angekotzt hatte. Sie glaubten sicher alle, dass sie intrigiert und Ränke geschmiedet hatte, um das viele Geld in die Finger zu kriegen. Dass sie perverse sexuelle Gefälligkeiten gegen das Eishockeyteam eingetauscht hatte, doch in Wahrheit hatte Virgil genau gewusst, dass ihr die Mannschaft egal war. Sie stand nicht auf Sport und war genauso schockiert wie alle anderen, dass Virgil ihr die Chinooks hinterlassen hatte. Vermutlich hatte Virgil das getan, weil Landon nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er felsenfest damit rechnete, die Mannschaft zu erben. Sobald die Chinooks ihm gehörten, das hatte Faith gewusst, wäre sie aus der Stadionloge verbannt worden. Was sie im Grunde nicht tragisch gefunden hätte. Sie hatte null Interesse an Eishockey. Klar, sie hatte ihren Mann zu einigen Spielen begleitet, dabei aber nie sonderlich auf das Geschehen auf dem Eis geachtet. Sie hatte die Zeit totgeschlagen, indem sie die zänkischen Duffys ausblendete und durch ein Fernglas nach scheußlichen Klamotten und besoffenen Schwachköpfen auf den Plätzen unter ihr Ausschau hielt. An einem guten Abend in der Key Arena hatte sie einen besoffenen Schwachkopf mit scheußlichen Klamotten entdeckt.
Anders als Faith interessierte sich Landon vorrangig für die Spiele und hatte bereits die Tage gezählt, bis er das Team in die Finger kriegen würde. Der Besitz einer professionellen
Sportmannschaft war ein Zeichen ungeheueren Reichtums. Die Mitgliedschaft in einem exklusiven Club, die Landon sich sehnlichst gewünscht hatte. Eine Mitgliedschaft, die sein Vater ihm nun verweigert hatte.
Landon war zwar Virgils einziger Sohn, aber sie hatten sich gegenseitig verabscheut. Landon hatte nie versucht, seine Missbilligung für Virgils Leben und seinen Hass auf dessen fünfte Frau, Faith, zu verbergen.
Sie schritt über die langen Teppiche im oberen Flur in die Schlafzimmersuite, die sie sich mit Virgil geteilt hatte. Mehrere Bedienstete einer Umzugsfirma packten ihre Kleider in Kisten, während einer von Landons Anwälten im Hintergrund herumstand und dafür sorgte, dass Faith nichts mitnahm, was ihr seiner Meinung nach nicht gehörte. Sie ignorierte die Möbelpacker und strich mit der Hand über die Rückenlehne von Virgils verschlissenem Ledersessel. Der Sitz war vom jahrelangen Gebrauch eingedellt, und Virgils Lesebrille lag auf dem Tisch auf dem Buch, das er an dem Abend gelesen hatte, als er starb. Dickens, denn Virgil hatte sich mit David Copperfield verbunden gefühlt.
An jenem Abend, vor fünf Tagen, hatte sie es sich in dem Sessel neben ihrem Ehemann gemütlich gemacht und sich eine Wiederholung der Kochsendung Top Chef angesehen. Während Padma Lakshmi im Fernsehen die besten Appetithäppchen bewertete, hatte Virgil plötzlich nach Luft geschnappt. »Ist alles in Ordnung?«, hatte sie gefragt.
»Ich fühle mich nicht gut.« Er hatte Brille und Buch beiseitegelegt und sich ans Brustbein gefasst. »Ich glaube, ich gehe ins Bett.«
Faith legte die Fernbedienung weg, doch noch bevor sie aufstehen konnte, um ihm zu helfen, sackte er zusammen
und schnappte nach Luft, und seine mit Altersflecken übersäte Hand fiel schwer in seinen Schoß.
An den Rest des Abends erinnerte sie sich nur verschwommen. Sie wusste noch, dass sie seinen Namen gerufen und seinen Kopf fest auf dem Schoß gehalten hatte, während sie mit der Notruf-Telefonistin sprach. Sie hatte keine Erinnerung daran, wieso er plötzlich auf dem Boden lag, nur daran, wie sie auf sein Gesicht herabgeblickt hatte, als seine Seele aus seinem Körper entwich. Sie erinnerte sich, geweint und ihm gut zugeredet zu haben, nicht zu
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