Küsse im Mondschein
den Drang an, sie nun einfach zu packen und zu schütteln, bis sie endlich wieder ein wenig Vernunft annahm. »Nein - nicht wegen letzter Nacht werden wir heiraten, sondern wegen der Dinge, die sich während der letzten Nacht ereignet haben.« Die Lautstärke seiner Stimme war mittlerweile fast zu einem Brüllen angewachsen. »Du bist, verdammt noch mal, eine Dame. Du bist eine Cynster, um es mal ganz klar auszudrücken! Und du hast die gesamte letzte Nacht in meinem Haus verbracht - in diversen Betten. Ich habe zwar keineswegs vergessen, dass ich schon seit einem guten Jahrzehnt nicht mehr in deinen gesellschaftlichen Kreisen verkehre, aber manche Dinge ändern sich eben nie. Und darum werden wir selbstverständlich heiraten!«
Amanda schlüpfte in ihre Schuhe. »Nein.«
»Nein?«
Sie blickte zu ihm auf. Unbeirrbarer und absolut weiblicher Starrsinn blitzte in ihren Augen auf. »Denn ich sag dir jetzt mal was - das heißt, falls du überhaupt in der Lage bist, eine fremde Meinung in deinen Dickschädel aufzunehmen: Wir werden nicht heiraten, nur weil es da irgendeine gesellschaftliche Regel gibt, die uns dergleichen nahelegt.«
»Diese Regel legt uns das nicht nur nahe - sie befiehlt es geradezu!«
»Hah!« Amanda ließ sich durch nichts von ihrer Meinung abbringen. » Du wirst doch bestimmt niemandem von der letzten Nacht erzählen, da bin ich mir sicher. Und ich werde auch keinem etwas verraten. Wie also sollte die Londoner Gesellschaft - oder irgendjemand sonst - jemals davon erfahren?«
Im Schein des Kaminfeuers sah Martin einfach atemberaubend aus - Amanda schob diesen Gedanken jedoch sofort wieder beiseite. Sie zähmte ihren Zorn, versuchte, ihn wie einen schützenden Schild vor den wahren Strudel an Gefühlen zu halten, der in ihrem Inneren tobte. Schließlich bedachte sie Martin mit einem letzten finsteren Blick. »Gute Nacht.«
Rasch trat sie um ihn herum und marschierte in Richtung Tür.
»Amanda!«
Glaubte er allen Ernstes, dass sie nun stehen bleiben würde? Sie riss seine Zimmertür weit auf und rauschte hinaus - und landete in totaler Finsternis.
Sie hielt einen Moment inne, hörte seine Schritte, als er prompt hinter ihr hereilte. Doch trotzig stapfte sie einfach weiter und tastete sich in jene Richtung vor, von der sie hoffte, dass dort die Haustür liegen würde.
»Komm zurück, verdammt noch mal! Wir müssen miteinander reden.«
»Da gibt es nichts mehr zu besprechen.« Im schwachen Schein des Lichts, das aus Martins Zimmer fiel, sah sie ein Geländer - war das etwa die Galerie? Sie beschleunigte ihren Schritt.
»Da kannst du nicht raus - die Eingangstür lässt sich nicht öffnen.«
»Hach!« Glaubte er wirklich, dass sie ihm das jetzt abnähme? Sie erreichte die Galerie und erkannte mit Erleichterung den obersten Absatz der Treppe, der sich verschwommen vor ihr in der Dunkelheit abzeichnete. Martin fluchte. Dann hörte sie, wie seine Schritte sich wieder in die andere Richtung entfernten, fort von ihr. Was das nun allerdings bedeuten mochte, darüber weigerte sie sich nachzudenken. Stattdessen reckte sie störrisch das Kinn vor und strebte weiter auf die Treppe zu.
Noch immer leise fluchend, rannte Martin zurück in sein Schlafgemach. Gott allein mochte wissen, was Amanda nun gerade vorhatte. Aber zuerst musste er sich etwas anziehen, sonst konnte er ihr wohl nur schlecht weiter durch das Haus folgen.
Hastig durchwühlte er den Kleiderschrank in seinem Ankleidezimmer, warf sich einen Jagdrock über und schlüpfte in die dazugehörigen Hosen. Dann eilte er wieder zurück in den Korridor und heftete sich an Amandas Fersen. Er marschierte quer durch die Galerie und rannte die Treppe hinab; dort, auf dem untersten Treppenabsatz, hörte er sie. Wilde Beschimpfungen ausstoßend, zerrte sie an den Schlössern der Eingangstür. »Ich hab dir doch gesagt, dass sie sich nicht öffnen lässt.«
»Mach dich nicht lächerlich!« Amanda wirbelte zu Martin herum. »Das hier ist die Park Lane, nicht irgendein Hinterhof in den Gassen von Bombay! Kein Butler, der auch nur ein winziges bisschen auf sich hält, würde zulassen, dass die Haustür seiner Wirkungsstätte langsam zurostet.«
»Nur leider habe ich keinen Butler, ganz gleich, ob nun mit oder ohne beruflichen Stolz.«
Amanda starrte ihn ungläubig an. »Du kannst hier doch nicht völlig allein leben!«
»Ich habe einen Kammerdiener.«
»Nur einen?«
»Der reicht vollauf.«
»Ganz offensichtlich ja nicht.« Amanda deutete wieder auf
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