Küsse im Mondschein
nicht nur sein Familienoberhaupt anwesend war, sondern vor ihm auch noch das Oberhaupt einer übergeordneten Linie stand, errötete er unvermittelt, warf erst einen verschlagenen Blick in Richtung Luc und wandte sich dann mit einen steifen Nicken zu Martin um. »Nun, da meine Aufsicht über meine Schwestern beendet ist, denke ich, werde ich wohl ein wenig umherschlendern.«
Die wahre, mit dieser Umschreibung ausgedrückte Botschaft aber lautete, dass er nicht gerne mit Martin gesehen werden wollte und diesem wiederum auch nicht die Gnade seiner, Edwards, Gesellschaft gönnen mochte.
Martin entgegnete gar nichts, sondern schaute Edward lediglich nach, wie dieser sich von ihm entfernte. Dann sah er zu Luc hinüber.
Luc erwiderte Martins Blick. »Tja, leider hat er sich im Laufe der Jahre nicht gerade zum Besseren entwickelt.«
»Sieht ganz so aus. Juckt es dir nicht manchmal in den Fingern, ihm so eine richtige Tracht Prügel zu verpassen?«
»Doch, manchmal schon. Aber der Bursche ist solch ein Jammerlappen - ich könnte das Geheule hinterher einfach nicht ertragen.«
Ein goldener Haarschopf erregte Martins Aufmerksamkeit. Es waren die Locken seiner Liebsten, über die ein zarter Schimmer glitt, als Amanda sich von der Chaiselongue erhob und sich von ihren Sitznachbarinnen verabschiedete. Sofort wurde Martins Körper von einer gewissen Spannung ergriffen, sofort wollte er sich an ihre Fersen heften - oder zumindest von weitem auf sie Acht geben dürfen.
Luc war Martins Blick gefolgt. Leise murmelte er: »Solltest du es tatsächlich auf Amanda abgesehen haben, kann ich dir wohl nur noch die Daumen drücken.«
Martin wandte sich zu Luc um, hob eine Braue.
»Sie hat nämlich so ihren ganz eigenen Kopf«, erklärte Luc ihm. »Und fügsam ist sie auch nicht - eher das genaue Gegenteil.« Er hielt inne und ergänzte dann nach einer kurzen Weile und mit etwas weicherem Tonfall: »Aber in der Hinsicht sind sie sich ja beide sehr ähnlich.«
»Du meinst Amanda und ihre Schwester?«, hakte Martin nach.
»Hmmm.« Scheinbar gedankenverloren ließ Luc den Blick über die Gästeschar schweifen. »Bei Gott, kein Mann von Verstand würde sich freiwillig mit einer von denen belasten.«
16
Mittlerweile war es schon zu einem festen Bestandteil in Amandas Leben geworden, dass jeden Morgen drei weiße Orchideen für sie abgegeben wurden. Mit einem Mal aber blieben die Blumen aus. Ihr Fehlen traf Amanda wie ein Schlag. Andererseits, wenn man die Diskussion am vorigen Abend bedachte - hätte sie da nicht eigentlich schon mit irgendetwas in der Art rechnen müssen? Martin hatte ihr gesagt, dass nun sie den nächsten Schritt machen müsse; dass es allein an ihr läge, ob sie all das, was er ihr gerne schenken wollte, annahm oder es ausschlug. Und die Tatsache, dass nun keine Orchideen mehr für sie kamen, bedeutete dann wohl, dass er es aufgegeben hatte, sich mit ihr zu streiten, dass er nicht mehr länger versuchen würde, sie mit seinen kleinen Verführungen in die Ehe mit ihm zu locken.
Aber vielleicht waren ihm ja auch bloß die Orchideen ausgegangen.
Den ganzen langen Tag über grübelte sie darüber nach, welche von beiden Möglichkeiten das Ausbleiben von Martins Orchideen wohl treffender erklären mochte. Sie konnte an kaum etwas anderes mehr denken, und dies, obwohl sich für Amanda ein Termin an den anderen reihte - es standen ein morgendlicher Teebesuch an, ein leichtes Mittagessen, eine Fahrt durch den Park und schließlich eine Einladung in Amandas Elternhaus. Ihre Stimmung schwankte also ständig, ähnlich dem Pendel einer Uhr; den einen Moment war sie noch relativ ruhig und ausgeglichen, den anderen dann wiederum zutiefst niedergeschlagen.
Als sie schließlich auf Lady Arbuthnots Ball erschien - Martin jedoch nirgends zu sehen war -, setzte sie zwar wie gewohnt ein strahlendes Lächeln auf, aber ihr Herz war ihr schwerer denn je.
Dann erreichte sie eine kleine Nachricht: Ein Lakai überbrachte ihr ein elfenbeinfarbenes, quadratisches Kärtchen, auf dem in Martins energischer Handschrift eine kurze Mitteilung stand.
Schau dich mal auf der Terrasse um.
Das war alles.
Amanda steckte die Karte in ihr Täschchen, entschuldigte sich bei den Gästen, mit denen sie sich gerade eben noch unterhalten hatte, und machte sich sofort daran, sich einen Weg quer durch den gut besuchten Ballsaal zu bahnen. Dieses Unterfangen dauerte allerdings seine Zeit, zumal immer noch mehr Gäste hereinströmten; als sie schließlich
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