Küsse im Mondschein
von St. Ives und natürlich von Lady Osbaldestone. Letztere wollte unbedingt Teil des Spektakels sein.
Dieses Aufgebot an Persönlichkeiten reichte aus, dass die Leute ihre Köpfe geschlossen dem Eingang des Ballsaals zuwandten, und gespannt warteten sie, wer nun wohl als Nächstes durch die Tür treten mochte. Und dies war kein Geringerer als Lord Martin Fulbridge, der Graf von Dexter, begleitet von Miss Amanda Cynster.
Die Augen weit aufgerissen, mit vor Erstaunen offen stehenden Mündern und wie benommen vor lauter abenteuerlichen Spekulationen, die den Ballgästen natürlich sofort durch die Köpfe schossen, beobachteten sie alle, wie Martin - groß, umwerfend attraktiv und mit einer leicht an einen Löwen erinnernden, im Licht der Kronleuchter golden schimmernden Mähne - sich zunächst vor Honoria verbeugte und dann Devil die Hand gab. Und das alles mit Amanda an seiner Seite. Noch ehe die beiden sich schließlich umwenden konnten, um Seite an Seite mit Amandas Hand auf Martins Arm hinter der Herzoginwitwe und Lady Osbaldestone die Treppe hinabzuschreiten, begann das aufgeregte Getuschel.
Die hier versammelte Londoner Gesellschaft wusste sehr wohl, welche Bedeutung dieser Geste beikam; jeder, der die Szene beobachtet hatte, konnte ihre Botschaft nur allzu leicht deuten. Und spätestens, als die nächsten Gäste, die angekündigt wurden, Lord Arthur und Lady Louise Cynster waren, bestand für niemanden mehr ein Zweifel daran, dass soeben eine ernste Verbindung zwischen zwei der wichtigsten aristokratischen Häuser geschmiedet worden war und dass schon bald noch eine offizielle Verkündung des neuen verwandtschaftlichen Verhältnisses folgen würde.
Aber offizielle Verkündungen waren grundsätzlich nicht so spannend, als wenn man noch vor den meisten anderen in die aktuellen Geschehnisse eingeweiht wurde.
»Ich habe den Eindruck« - damit schenkte Lady Osbaldestone Martin ein fast schon teuflisches Grinsen, als dieser und Amanda sich zu den anderen im Ballsaal gesellten -, »als ob es bei den morgigen Empfängen nur noch ein Gesprächsthema geben würde, nämlich Euch beide.«
Martin hob lässig eine Braue.
»Morgen?«, fragte Arthur, der gerade mit Louise zu der Gruppe dazustieß und dabei den Blick einmal über die hektisch plappernden Horden schweifen ließ. »Ich möchte doch eher wetten, dass mindestens die Hälfte der Londoner Gesellschaft diese Neuigkeit schon erfahren hat, noch ehe sie heute Abend zu Bett geht.«
»Darum brauchst du gar nicht erst zu wetten«, entgegnete Vane. »Du findest unter Garantie niemanden, der dagegenhält.«
Die drei Männer tauschten leidgeprüfte Blicke miteinander aus, denn ihre Damen hatten sich bereits von ihnen abgewandt, um einige Bekannte zu begrüßen, die allesamt fast umzukommen schienen vor lauter Neugier und dem drängenden Bedürfnis, unbedingt noch mehr Einzelheiten über diese faszinierende Angelegenheit zu erfahren.
Auch Amanda plauderte lebhaft, lächelte und spielte die Rolle der angehenden, heiter-zuversichtlichen Gräfin geradezu in Perfektion, blieb unterdessen aber stets auf der Hut vor den gerissenen, bohrenden, mitunter sogar plump aufdringlichen Fragen, die man ihr stellte, um herauszubekommen, wie Amanda Martin denn nun eigentlich kennen gelernt habe und wann er ihr seinen Antrag gemacht habe. Mit ihrer Mutter an der einen Seite und ihrer Tante Helena an der anderen bereitete es ihr jedoch nur wenig Schwierigkeiten, jene gelassene Fassade zu bewahren, die unbedingt nötig war, um den vollen Respekt der Gesellschaft zu gewinnen.
Schließlich aber löste sich die Gruppe der scharfäugigen Matronen und misstrauischen Beobachter wieder auf, die - wenn sie sich auch nicht vollkommen täuschen ließen - so doch zumindest in dem sicheren Gefühl gingen, dass die Verbindung zwischen Amanda und Martin durch das unerschütterliche Wohlwollen der Cynsters und noch diverser anderer tatsächlich offiziell abgesegnet war, und dass natürlich auch alles andere in dieser Angelegenheit genau so war, wie es sein sollte.
»Eine passende und sehr glückliche Verbindung«, so lautete das einhellige Urteil der Gesellschaft.
Als die Klänge des ersten Walzers über das Geschnatter der Menge hinwegschwebten, wandte Amanda sich um. Umgeben von ihren nicht minder angeregt plaudernden Damen standen Martin, Amandas Vater, Devil und Vane im Zentrum der kleinen Gruppe - groß, breitschultrig, fast schon auf arrogante Art und Weise attraktiv -, tauschten den einen oder
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