Küsse im Mondschein
fuhren bei Putney über den Fluss und rollten dann weiter durch Dörfer und Weiler. Während der Fahrt löste sich die Wolkendecke nach und nach auf, sodass nach einer Weile endlich der Mond zum Vorschein kam und ungehindert sein helles Licht verströmen konnte. Schließlich erreichten sie das Dorf Richmond, das schlafend unter einem von Sternen übersäten, schwarzsamtenen Abendhimmel lag. Hinter dem letzten Haus, auf einer riesigen Fläche, die sich vom Dorf bis hinunter zum Fluss erstreckte, begann der in undurchdringliche Finsternis getauchte Wildpark.
Amanda richtete sich unwillkürlich gerader auf ihrem Sitz auf, als die ersten hohen Bäume näher rückten, ihre kahlen, weit ausladenden Äste dem Himmel entgegenreckt. Amanda war im Laufe der Jahre schon des Öfteren hier gewesen und erkannte die Gegend wieder, und doch schien bei Dunkelheit alles anders zu sein - irgendwie plastischer, geheimnisvoller, die Verheißung von Nervenkitzel und Abenteuer unendlich viel greifbarer. Ein kühles Kribbeln lief über ihre Haut, und sie erschauerte.
Augenblicklich fühlte sie Dexters prüfenden Blick auf sich ruhen, machte jedoch keine Anstalten, ihn zu erwidern. Doch schon bald war Dexter gezwungen, wieder nach vorn zu schauen und auf seine Pferde zu achten, während sie immer tiefer in den schattigen Park eindrangen.
Stille hüllte sie ein, eine tiefe, vollkommene, scheinbar alles durchdringende Stille, die nur hier und dort einmal unterbrochen wurde von dem Schrei einer Eule, dem leisen Rascheln und Trippeln irgendeines nachtaktiven Tieres und dem dumpf klingenden Getrappel der Pferdehufe. Das Mondlicht war hier nur matt, reichte nur gerade aus, um Formen erkennen zu können, nicht aber Farben. Auch die Brise, die durch den Park wehte, war bloß schwach und brachte den Geruch nach Bäumen, Gras und vermoderndem Laub mit sich. Die Rehe und Hirsche schliefen, waren lediglich als verschwommene, höckerförmige Gebilde unter den Bäumen zu erkennen. Ein paar der Tiere standen aufrecht, bekundeten aber kein Interesse an den zwei- und vierbeinigen Geschöpfen, die da in ihre vom Mond beschienene Welt eingedrungen waren.
Sie waren tief im Inneren des Parks, außer Sichtweite aller menschlichen Wesen, als Dexter die Pferde schließlich anhalten ließ. Die Stille, die unheimliche Atmosphäre der Nacht verstärkten sich noch und hüllten sie ein. Dexter band die Zügel am Sitz fest und wandte sich dann Amanda zu. Mit großen, leuchtenden Augen betrachtete sie ihre Umgebung, nahm wie gebannt den Anblick der Parklandschaft in sich auf, die sich leicht wellenförmig zu beiden Seiten des Karrenpfades erstreckte, eine riesige Wiese, gesäumt von Bäumen und struppigen Dickichten und vollkommen unberührt bis auf den silbrigen Glanz des Mondes.
»Aufregend genug?«
Die Worte drangen als ein Flüstern an ihr Ohr, doch diesmal waren sie nicht von Zynismus begleitet - Dexter schien für den besonderen Zauber dieser Nacht ebenso empfänglich zu sein wie sie.
Amanda atmete tief durch. Die Luft war kühler, weicher, balsamischer als jede andere, die sie jemals gekostet hatte. »Es ist irgendwie... seltsam.« Sie schaute ihn flüchtig von der Seite an. »Komm, lass uns ein kleines Stück spazieren gehen.«
Dexter zog kritisch die Brauen hoch, erhob sich jedoch kommentarlos, trat an ihr vorbei und sprang vom Kutschbock auf den Boden. Er reichte Amanda beide Hände, half ihr die Trittstufen hinunter, dann umschloss er eine ihrer Hände mit festem Griff und ließ seinen Blick über die weite, von Mondlicht übergossene Grasfläche schweifen. »In welche Richtung?«
»Dorthin.« Sie zeigte über die sich vor ihnen ausdehnende Fläche hinweg auf eine Nadelholzschonung.
Dexter rief dem Pferdeknecht eine Anweisung zu, dann machten er und Amanda - ihre Hand noch immer fest von der seinen umschlossen - sich auf den Weg.
Es war Jahre her, seit sie das letzte Mal Hand in Hand mit einem Mann spazieren gegangen war. Sie fand es unerwartet schön und angenehm, denn es ließ ihr mehr Bewegungsfreiheit, als wenn sie an Dexters Arm gegangen wäre. Plötzlich blieb sie mit ihrem Stiefel in einer Bodenvertiefung stecken; sogleich zog Dexter Amanda wieder hoch und stützte sie. Sie lachte atemlos, dankte ihm mit einem Lächeln und zog sich die luxuriöse Decke wieder um die Schultern, dann ließ sie ihn abermals ihre Hand ergreifen, und sie setzten ihren Spaziergang fort.
Sie entfernten sich weiter und weiter von dem Karrenpfad. Das Gefühl,
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