Küsse im Morgenlicht
Menschen verwandt waren.
Es waren nur sehr wenige Gentlemen unter den Gästen. Mit verbissener Miene akzeptierte Luc, dass er aus der abendlichen Gemeinschaft herausstach wie ein bunter Hund. Er wartete, bis der Sopran so richtig in Schwung gekommen war, dann schritt er scheinbar vollkommen gelassen zu Amelia hinüber, die auf einem der Stühle an der Seitenwand des Musikzimmers Platz genommen hatte.
Als sie ihn sah, blinzelte sie zunächst verwundert, schaffte es aber immerhin, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren. Louise, die neben ihrer Tochter saß, wandte sich um, um zu sehen, was Amelias Aufmerksamkeit abgelenkt hatte, und kaum, dass sie Luc erblickte, kniff sie erbost die Augen zusammen.
Denn Luc hatte sich an diesem Nachmittag leider ein klitzeklein wenig verspätet - genauer gesagt, hatte er ihre Tochter sogar erst eine volle Stunde später wieder zu Hause abgeliefert, als er ursprünglich angekündigt hatte. Und kaum, dass Amelia von der Haustür aus sogleich in ihr Zimmer entschwunden war, hatte Luc auch schon wieder die Heimfahrt angetreten - er war noch nicht einmal so lange geblieben, um wenigstens noch ein paar höfliche Worte mit seiner zukünftigen Schwiegermutter zu wechseln. Der Gesichtsausdruck, mit dem Louise Luc nun musterte, ließ erahnen, dass sie sehr wohl wusste, wie sie die nachmittäglichen Ereignisse zu deuten hatte.
Mit einer eleganten Verbeugung - zunächst vor Louise, dann vor Amelia - trat Luc in die schmale Lücke neben Amelias Stuhl und legte die Hand auf dessen Rückenlehne.
Er gab vor, gebannt der Musik zu lauschen.
Luc hasste Soprane.
Glücklicherweise dauerte die Darbietung aber bloß noch weitere zehn Minuten. Gerade lange genug also, damit er sich eine Erklärung auf Amelias bereits in der Luft liegende Frage zurechtlegen konnte, weshalb er denn nun doch noch zu dem verhassten Abend erschienen war.
Sobald der Applaus wieder abebbte, drehte Amelia sich auch schon auf ihrem Stuhl um und sah zu Luc auf. »Was...?« Dabei hob sie die Hand und legte sie sanft auf die seine, die noch immer auf der Rückenlehne des Stuhls ruhte.
Luc erwiderte ihren Blick, doch ihre Berührung lenkte ihn kurzzeitig ab. Er schaute ihrer beider Hände an, erstarrte für einen winzigen Augenblick, atmete dann aber einmal tief durch und schloss mit einer behutsamen Drehung die Hand um Amelias Finger. Er spürte den Ring, den er ihr an diesem Nachmittag angesteckt hatte, und wurde von einem plötzlichen, fast schon primitiven Gefühl der Befriedigung durchströmt.
»Es gibt keinerlei Probleme, alles ist in bester Ordnung.« Damit hatte er die Frage, die er in ihren Augen hatte aufflackern sehen, bereits beantwortet, noch ehe sie sie aussprechen konnte. Anschließend schaute er sie eindringlich an, beugte sich noch ein wenig näher zu ihr hinab und erklärte: »Ich wollte dich nur vorwarnen, denn ich habe eine Anzeige in der morgen früh erscheinenden Gazette geschaltet.«
Damit ließ er den Blick über die um sie versammelten Damen schweifen, die ihn zum Großteil erst jetzt zu bemerken schienen. Nun aber konnte es wohl nicht mehr lange dauern, ehe die eine oder andere Klatschbase ihn aus seiner kurzen, doch trauten Zweisamkeit mit Amelia reißen würde, sodass Luc hastig fortfuhr: »Ich wollte nur nicht, dass du dich erschreckst, wenn morgen die halbe Londoner Hautevolee bei euch in der Upper Brook Street aufkreuzt.«
Amelia schaute ihm aufmerksam in die Augen. Dann lächelte sie - ein ganz und gar natürliches, ungekünsteltes Lächeln. Dahinter jedoch schimmerte eine Spur jenes leisen, vielsagenden Lächelns, mit dem sie es stets wieder aufs Neue schaffte, ihn zu necken...
»Ich hatte mir schon gedacht, dass du wohl irgendetwas in der Art organisieren würdest. Aber vielen Dank, dass du mir Bescheid gegeben hast.« Damit erhob sie sich und schüttelte ihr türkisfarbenes Seidenkleid aus.
Hastig griff Luc nach dem Umschlagtuch, das ihr zu entgleiten drohte, und legte es ihr zärtlich wieder um die Schultern. Abermals lächelte Amelia ihn liebevoll an, und ein Hauch von Mitgefühl lag in ihrer Stimme, als sie sagte: »Ich fürchte, nun geht gleich der Ansturm los.«
Und genauso kam es auch. Schließlich hatten die Gäste der Hightham Hausparty einen ganzen Tag lang Zeit gehabt, um die Neuigkeiten über Luc und Amelia zu verbreiten. Es wurde bereits eifrig spekuliert, und Lucs Erscheinen auf Lady Hogarths Musikabend lieferte dem Tratsch nur noch neues Futter.
Sie waren regelrecht umlagert
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