Küsse im Morgenlicht
Lord Arthur und Lady Louise aus der Upper Brook Street, am Mittwoch, dem 15. Juni auf Somersham Place in den Stand der Ehe treten würden.
Luc legte die Zeitung nieder, nippte an seinem Kaffee und versuchte, sich darüber klar zu werden, was er beim Lesen dieser Anzeige empfand. Er fühlte vor allem eines: Ungeduld. Und was den Rest betraf …
Natürlich waren da noch eine ganze Menge anderer Gefühle, die in seinem Inneren wild durcheinandertobten - Triumph, Verwirrung, Vorfreude, ein Hauch von Verzweiflung und sogar ein ganz klein wenig Missbilligung, was das ganze Brimborium betraf, das mit dieser Hochzeit natürlich einherging. Doch diesem allen lag noch eine weitere Kraft zu Grunde, eine Kraft, die jeden Tag weiter anwuchs, stärker wurde - die immer bezwingender und immer fordernder wurde.
Aber wohin diese Macht ihn schließlich noch führen sollte, wie weit sie ihn treiben würde, das wusste er nicht.
Sein Blick schweifte wieder zurück zur Zeitung und der Anzeige darin.
Einen Augenblick später leerte er seine Kaffeetasse, erhob sich und verließ das Frühstückszimmer. In der Eingangshalle blieb er kurz stehen, um seine Reithandschuhe aufzunehmen.
Es war nicht länger wichtig, wohin sein Lebensweg ihn noch führen würde. Denn Luc war fest entschlossen, hatte sowohl öffentlich als auch im ganz Privaten den Schwur geleistet, mit Amelia in den Bund der Ehe zu treten, und trotz aller Ungewissheiten, die damit einhergingen, hatte er doch nicht ein einziges Mal daran gezweifelt, dass er den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
Die Zukunft gehörte ihm allein, und er konnte sie ganz nach eigenem Gutdünken gestalten.
Langsam zog er die Reithandschuhe durch seine Hände. Dann verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. Denn ganz so einfach würde er nun wohl doch nicht über seine Zukunft bestimmen können - schließlich war Amelia jetzt ein Teil davon, und sie konnte er nicht so leicht kontrollieren.
In dem Moment hörte Luc das vertraute Klappern von Hufen über Kopfsteinpflaster, und mit einem knappen Nicken in Richtung des Pagen, der herbeigeeilt kam, um Luc die Tür zu öffnen, verließ er das Haus.
Auf dem obersten Absatz der Vordertreppe hielt er noch einen kleinen Augenblick inne, hob das Gesicht der Morgensonne entgegen und versuchte, im Geiste bereits ein wenig vorauszuschauen und die ihm unmittelbar bevorstehende Zukunft zu erahnen. Dann, als er alle entscheidenden Faktoren gegeneinander abgewogen hatte, erfüllte ihn noch immer das gleiche Gefühl.
Ungeduld.
Während Luc seinen Ausritt durch den Hyde Park genoss, betrat nicht weit von ihm entfernt eine junge Dame die kleine öffentliche Gartenanlage, die in der Mitte des Connaught Square angesiedelt war. Sie eilte auf einen Gentleman in einem langen, graubraunen Kutschmantel zu, der unter den ausladenden Ästen einer uralten Eiche stand.
Die junge Dame blieb vor ihm stehen und nickte ein wenig verhalten. »Guten Morgen, Mr. Kirby.«
Ihre Stimme klang hoch, fast schon piepsend.
Kirby starrte sie nur ausdruckslos an und neigte kurz den Kopf. »Was habt Ihr mir denn diesmal angeschleppt?«
Die junge Dame sah sich nervös um - Kirbys abschätzige Haltung verunsicherte sie. Ohne eine erkennbare Regung starrte er sie an, während sie einen Stoffbeutel von jener Sorte hochhob, wie ihn die Dienstmädchen benutzten, wenn sie einkaufen gingen. Hastig wühlte sie in dem schlichten Sackleinenbeutel herum und beförderte eine Schnupftabakdose zu Tage.
Kirby nahm die Dose an sich, kontrollierte mit einem raschen Blick, ob sie auch wirklich noch unbeobachtet waren. Dann hob er das kleine Kunstwerk ins Licht und inspizierte die Miniaturmalerei auf dem Deckel.
»Ist sie...« Die junge Dame schluckte. Schließlich flüsterte sie: »Meint Ihr, die ist etwas wert?«
Langsam ließ Kirby den Arm sinken, und die Schnupftabakdose verschwand in einer der ausladenden Taschen seines Kutschmantels. »Ihr habt ein gutes Auge. Ein paar Guineas wird man damit wohl herausschlagen können. Was gibt es sonst noch?«
Die Dame reichte ihm eine kristallene und mit Goldrand verzierte Parfümflasche, eine alte, aber mit Diamanten besetzte Lorgnette und zwei kleine, kunstvoll verzierte Kerzenleuchter aus Silber.
Kirby unterzog jedes der Stücke einer raschen Begutachtung, und eines nach dem anderen verschwanden sie in seinen Taschen. »Na, das ist doch mal eine nette Ausbeute.« Er sah, wie die Dame zusammenzuckte, und starrte sie regungslos an. »Dann hat sich Euer Ausflug
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