Küsse im Morgenlicht
von Neugierigen, und es blieb Luc keine andere Wahl, als geduldig neben Amelia stehen zu bleiben und die durchtriebenen Fragen so gut zu parieren, wie er nur irgend konnte. In seinem Inneren wallte bereits der Ärger herauf, doch Luc riss sich zusammen. Schließlich war er selbst es gewesen, der sich in diese unliebsame Situation gebracht hatte. Die Versuchung, Amelia noch einmal sehen zu können, sichergehen zu wollen, dass sie auch wirklich hier war, dass sie glücklich war und dass es ihr gut ging - dass sie sich wieder erholt hatte von ihrer nachmittäglichen Entdeckung, dass man einen Schreibtisch auch noch zu anderen Dingen verwenden konnte als bloß zum Schreiben -, all dies war Luc so lange durch den Kopf gegeistert und hatte ihm keine Ruhe mehr gelassen, bis ein Besuch bei Lady Hogarth schließlich das kleinere Übel zu sein schien. Luc hatte seiner Schwäche nachgegeben und musste jetzt den Preis dafür zahlen und sich den wissbegierigen Fragen der Damen stellen.
Im Übrigen fühlte er sich dazu verpflichtet, nun auch bis zum Ende des Abends zu bleiben und Amelia und Louise nach Hause zu begleiten. Eisern versuchte er, sich nicht von Amelias Seite forttreiben zu lassen, die Maske der Gelassenheit auf seinem Gesicht zu bewahren und sich nicht dazu verleiten zu lassen, schon irgendetwas von dem zu verraten, was doch erst die morgige Anzeige in der Gazette verkünden sollte.
Denn wenn die Harpyien morgen früh von seinem weiteren Schicksal erfuhren, dann war das immer noch früh genug. Dann konnten sie immer noch zusammenglucken und über die Neuigkeiten tratschen.
Auch Amelia hielt sich an Lucs Vorgabe und stritt die Wahrheit über ihre Beziehung weder ab, noch bestätigte sie irgendetwas. Ab morgen, wenn die gesamte Londoner Gesellschaft über die bevorstehende Hochzeit informiert war, würde sie ohnehin Rede und Antwort stehen müssen. An diesem Abend aber wollte sie das Wissen noch für sich behalten, wollte sie ihren Triumph noch ganz im Stillen auskosten.
Wenngleich der Sieg natürlich, zugegebenermaßen, noch ein wenig unvollständig war. Doch auf der anderen Seite hatte sie ja auch nie erwartet, dass Luc sich, nur weil sie ihm einen Heiratsantrag gemacht hatte, auch gleich in sie verlieben würde. Aber schon bald würden sie ja endlich Mann und Frau sein, und dann hätte sie immer noch Zeit und Gelegenheit genug, um ihm die Augen zu öffnen und ihn schließlich dazu zu verführen, in ihr noch mehr als bloß seine ihm rechtlich angetraute Ehefrau zu sehen.
Amelia war das gesellschaftliche Geplauder gewohnt, sie wusste, wann man besser wieder weiterschlenderte oder eine indiskrete Frage einfach überhörte. Die Menschen drängten sich um sie, wichen dann wieder zurück, um dafür wieder anderen Neugierigen Platz zu machen, doch Amelia kannte dies alles und meisterte die Fragestunde mit einer Leichtigkeit, als wäre das Ganze für sie bloß ein Kinderspiel. Verstohlen warf sie ihrem zukünftigen Ehemann einen raschen Blick zu, während sie aufmerksam der unablässig auf sie eindringenden Konversation folgte.
Wie gewöhnlich konnte sie die Miene, die er hier, im Kreise ihrer Bekannten, aufgesetzt hatte, nur schwer deuten. Wenn sie jedoch ihre privaten Momente miteinander teilten... dann wusste sie schon eher, was sein Gesichtsausdruck besagte. Langsam bekam sie Übung darin. Die Stunde, oder vielleicht war es auch etwas länger gewesen, die sie am Nachmittag zusammen in Lucs Arbeitszimmer verbracht hatten, war zum Beispiel so ein Moment gewesen. Und zumindest in einer Sache war sie sich mittlerweile schon recht sicher: Luc hatte noch niemals zuvor einer Frau sein Herz geschenkt.
Es war also noch immer da, und Amelia könnte es erobern, sofern sie den Mut aufbrachte, allen Widrigkeiten zu trotzen und es sich zu nehmen. Sie kannte Luc inzwischen recht gut, und auf einer gewissen, rein instinktiven Ebene erahnte sie auch seine Gefühlswelt, war ihm schon so nahe, dass sie manchmal sogar wusste, was er gerade dachte. An diesem Nachmittag, als er sie auf seinen Schreibtisch gebettet und sie ganz nach Belieben verführt und genossen hatte, da hatte Amelia für einen kurzen Augenblick etwas aufblitzen sehen in seinen Augen. Eine Art Erkenntnis, dass zwischen ihnen noch mehr existierte als bloß das rein Körperliche, dass sie ihm noch mehr bedeutete.
Und dieser Verdacht, dass Luc womöglich bereits begriffen haben könnte, dass sie noch mehr verband als die zunächst rein rational getroffene Entscheidung,
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