Küsse im Morgenlicht
Wohnsitz auf dem Lande gehabt haben, doch sie stammte immerhin aus einer großen Familie - genauso wie Luc. Von Geburt an waren sie beide stets mit anderen Kindern zusammen gewesen, manche von ihnen älter, andere jünger, und immer war auch irgendeine junge Mutter mit ihrem Neugeborenen zugegen gewesen.
Luc wusste von sich selbst, dass er mit Menschen allen Alters gut zurechtkam. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie das Leben ohne diese Begabung für ihn gewesen wäre. Es wäre ihm also in jedem Fall schwer gefallen, eine Frau an seiner Seite zu haben, die nicht die gleiche Gabe besaß.
Während sie zurück in Richtung der Stallungen seines Anwesens trabten und in der Ferne der Gong zum Mittagessen zu hören war, dankte Luc im Stillen dem Schicksal dafür, dass er - im Grunde bloß durch reinen Zufall - ausgerechnet Amelia zu seiner Ehefrau genommen hatte.
Erst als sie in die Kühle des Hauses traten, fiel ihm wieder ein, dass ja in Wahrheit gar nicht er sie ausgesucht hatte, sondern dass Amelia vielmehr ihn erwählt hatte …
Vor allem aber erinnerte er sich wieder daran, warum sie gerade ihn zum Ehemann gewollt hatte.
In seinem Hinterkopf hallten noch immer die einleitenden Worte des Vorarbeiters nach... Und ich sag Euch, hätten wir die Bestellung nicht noch vor Juni in Auftrag gegeben... und Luc konnte nur inständig hoffen, dass Amelia diese Bemerkung nicht gehört hatte. Ein wenig ermattet stiegen er und seine Frau die Treppe hinauf, um sich zum Essen umzuziehen, doch Amelia redete unentwegt weiter auf ihre gewohnt unbekümmerte Art und Weise auf ihn ein, sodass Luc zu dem Schluss kam, dass sie wohl doch nichts von der verräterischen Bemerkung mitbekommen hatte, woraufhin er die Angelegenheit - und seine Gewissensbisse - rasch wieder aus seinem Bewusstsein verdrängte.
Amelia dachte noch einmal über die Worte des Vorarbeiters nach, während sie ihr Reitkostüm auszog. Irgendetwas von dem, was der Mann gesagt hatte, hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie konnte sich nur nicht mehr so recht daran erinnern, was genau es gewesen war, das sie so misstrauisch gemacht hatte...
Vor - vorm - Juni. Das war es gewesen. Luc hatte die Bestellung für das Bauholz schon Ende Mai aufgegeben. Aber nach alledem, was Amelia über die finanzielle Lage der Ashfords wusste, hätte Luc sich einen solchen Auftrag bis vor Kurzem doch noch gar nicht leisten können. Erst seit er über ihre Mitgift verfügen konnte, oder zumindest, seit er wusste, dass er über ihre Mitgift würde verfügen können...
Einen Moment lang stand sie einfach nur reglos da. Halb hatte sie ihre Jacke bereits abgestreift, halb hing sie ihr noch über der Schulter. Blicklos starrte Amelia aus dem Fenster... bis plötzlich Dillys herbeigeeilt kam, um ihrer Herrin beim Umkleiden behilflich zu sein. Rasch schob Amelia ihre Grübeleien wieder beiseite.
Schließlich war es doch nur logisch, wenn Luc davon ausgegangen war, dass ihm mit dem Tag der Eheschließung eine nicht unbeträchtliche Mitgift zufließen würde. Zumal Amelia es ja selbst gewesen war, die ihm vorgeschlagen hatte zu heiraten, und Luc ihrem Antrag auch ohne Umschweife zugestimmt hatte. Mehr brauchte es in ihren Kreisen nicht, und insofern war ihr, Amelias, Geld quasi schon von diesem Tag an in Lucs Besitz übergegangen. Außer, sie hätte ihre Meinung doch noch wieder geändert und Luc wäre bereit gewesen, sie wieder freizugeben - doch das war doch von vornherein so gut wie ausgeschlossen gewesen.
Vor allem aber wurde Amelias Mitgift auf Lucs Landgütern ganz offensichtlich benötigt. Dringend benötigt. Das hatten die Worte des Vorarbeiters und die beiden völlig überfüllten Cottages schließlich nur noch bestätigt. Der frühzeitige Holzkauf war also nicht nur eine sinnvolle Ausgabe gewesen, sondern auch eine, zu der Luc als verantwortungsbewusster Pachtherr ganz einfach verpflichtet war.
Damit schlüpfte Amelia in eines ihrer etwas schlichter gehaltenen Tageskleider, und während sie darauf wartete, dass Dillys ihr das Kleid zuschnürte, ließ sie im Geiste noch einmal alles das Revue passieren, was sie über Luc wusste, beziehungsweise, was sie in den vergangenen Tagen noch Neues an Erfahrungen über ihn hatte sammeln können - und sie kam zu dem Schluss, dass er genauso war, wie sie ihn im Grunde schon immer wahrgenommen hatte. Er war ein Großgrundbesitzer und zugleich auch ein Gentleman, ein Mann, der sich in keiner Weise vor seinen Verpflichtungen drückte. Weder, was seine
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