Küsse im Morgenlicht
Luc an, glaubte zu erkennen, wie das Blau seiner Augen plötzlich noch ein wenig dunkler wurde, und sah, wie er grimmig das Kinn vorschob. Doch er gab ihr keine Antwort auf ihre Frage. Stattdessen griff er fest nach ihrer Hand, hielt sie fest und zog Amelia von der Tanzfläche.
Mit großen Augen sah Amelia, wie sie sich den Terrassentüren näherten. Die Flügeltüren standen weit offen. Sanft hatte der Mond die mit großen Steinplatten ausgelegte Terrasse in sein Licht getaucht. »Wo gehen wir hin, was hast du vor?«
»Wir widmen uns der Weiterentwicklung unseres Textbuchs.«
3
Luc führte Amelia auf die Terrasse hinaus, wo vereinzelte Pärchen umherschlenderten und den lauen Abend genossen. Hoch am Himmel stand das silbrige Halbrund des Mondes und tauchte die Szenerie in seinen schimmernden Glanz.
Luc schaute sich um, dann zog er Amelias Arm unter dem seinen hindurch und begann, die weitläufige Terrasse entlangzuschreiten. »Es gehört sich nun einmal so für verliebte Paare«, erklärte er nüchtern und ganz so, als ob er Amelias noch unausgesprochene Frage bereits erahnt hätte, »dass sie auch eine gewisse Zeit in - sagen wir mal - der Sache förderlicher Umgebung verbringen.«
Förderlich... in welcher Hinsicht? Fragend blickte Amelia zu ihrem Begleiter auf, doch er führte seine Erklärung nicht weiter aus, sodass sie den Kopf schließlich wieder nach vorn wandte. »Glaubst du denn, dass schon irgendjemand was gemerkt hat?«
»Natürlich haben sie schon etwas bemerkt. Aber es wird wohl noch ein paar Abende dauern, bis wir sie davon überzeugt haben, dass unsere Treffen nicht bloß Ausdruck des allgemeinen höflichen Miteinanders sind, sondern dass mehr dahintersteckt.«
»Und wie sollen wir jetzt weiter vorgehen? Was schlägst du vor?«
Eindringlich fühlte Amelia Lucs Blick auf sich ruhen. »Im Grunde brauchen wir nichts anderes zu tun, als dem uralten Schema zu folgen. Und das Getratsche über uns kommt dann von ganz allein.«
Dem uralten Schema folgen. Amelia war sich sicher, dass sie und Luc bestimmt sehr unterschiedliche Vorstellungen von diesem Prozedere hatten. Dennoch wollte sie nun keine Diskussion über die Art und Weise anfangen, wie er die ganze Sache anzupacken gedachte. Natürlich hatte Amelia ursprünglich gehofft, dass sie einem etwas romantischeren Weg folgen würden, doch da sein Vorgehen sich nun erstaunlicherweise doch ziemlich genau in ihre eigenen, geheimen Pläne einfügte...
Sie schlenderten immer weiter die Terrasse hinab, und je weiter sie gingen, desto seltener begegneten sie noch irgendeinem der anderen Paare. Die meisten blieben in dem Bereich, der durch das nach draußen fallende Licht des Ballsaals erhellt war. Am Ende der Terrasse blieb Luc stehen, ließ flüchtig den Blick über die Umgebung schweifen und schloss die Finger schließlich noch etwas fester um Amelias Hand. Dann zog er sie energisch mit sich, und nach kaum mehr als drei zügigen Schritten waren sie auch schon um die Ecke des großen Herrenhauses verschwunden. Von dort aus führte der Weg einige flache Stufen hinunter und dann weiter zu dem etwas tiefer gelegenen Teil der Terrasse, der von einem mit einer wild wuchernden weißen Rose überwachsenen Laubendach überspannt war.
Unter diesem Dach waren sie vollkommen abgeschirmt von eventuellen neugierigen Blicken - keiner, weder von der Hauptterrasse noch von den oberen Stockwerken aus, konnte sie nun noch sehen. Der Garten, der sich vor der Rosenloggia erstreckte, lag vollkommen verlassen da. Auch das offene Gartenzimmer hinter ihnen war in tiefe Dunkelheit getaucht und schien schon seit längerem nicht mehr benutzt worden zu sein.
Sie waren allein. Vollkommen ungestört.
Luc blieb stehen und zog Amelia zu sich herum, bis sie dicht vor ihm stand. Sie schaute zu ihm auf, konnte jedoch nur noch einen ganz flüchtigen Blick in sein Gesicht erhaschen, ehe er den Kopf zu ihr hinabneigte und - eine Hand sanft um ihr Kinn gelegt - zart mit den Lippen ihren Mund berührte.
Ganz zart.
Die Tatsache, dass er so behutsam war, drang selbst durch den Schwindel der Erregung, der in ihrem Kopf herrschte. Denn im Stillen hatte Amelia sich bereits gegen einen wahren Sturmangriff gewappnet. Dies war schließlich nicht ihr erster Kuss, und nach dem, was sie bereits an Erfahrungen gesammelt hatte, waren die Männer doch letzten Endes allesamt einfach nur gierig.
Luc dagegen war anders.
Natürlich hatte Amelia nie daran gezweifelt - nicht einen einzigen Augenblick -,
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