Küsse im Morgenlicht
zwischen Amelia und ihm lag noch immer allein in seinen Händen.
Überaus zufrieden über diese Feststellung strebte er in Richtung seines Arbeitszimmers. Als er dann jedoch an dem kleinen Konsolentisch im hinteren Teil der Eingangshalle vorbeiging, blieb er abrupt stehen und betrachtete nachdenklich die polierte Oberfläche des Tischchens. Wo war denn das goldene Tintenfass seines Großvaters geblieben? So lange Luc sich zurückerinnern konnte, hatte es immer an genau diesem Platz gestanden... vielleicht hatte Mrs. Higgs es in ihrem jährlichen Frühjahrsputzrausch ja mitgenommen, um es zu polieren, und es dann irgendwo anders hingestellt. Im Geiste machte Luc sich eine kleine Notiz, dass er die Haushälterin bei Gelegenheit unbedingt nach dem Tintenfass fragen musste. Dann marschierte er energischen Schrittes weiter, denn hinter der Tür seines Arbeitszimmers wartete noch immer jede Menge Arbeit auf ihn.
»Bist du dir sicher, dass Minerva in ihrer Kutsche auch wirklich noch Platz für dich hat?«
Amelia warf ihrer Mutter, die am anderen Ende des Schlafzimmers ihrer Tochter stand, einen raschen Blick zu und lächelte. »Sie hat gesagt, sie lässt ihre Reisekutsche vorfahren. Außerdem sind wir ja bloß zu sechst.«
Louise dachte über Amelias Worte nach und nickte. »Trotzdem seid ihr keine Zwerge. Aber ich muss schon sagen, dass ich wirklich ganz froh bin, mal einen ruhigen Abend zu Hause verbringen zu können. Ich hab mich noch immer nicht so ganz erholt von dem Tohuwabohu, das mit Amandas Hochzeit einherging.« Nach einem Moment fügte sie dann leise murmelnd noch hinzu: »Ich hoffe doch, ich kann darauf vertrauen, dass Luc ein Auge auf dich hat.«
»Ja, darauf kannst du getrost vertrauen. Du weißt doch, wie er ist.«
Über Louises Lippen spielte ein kleines Lächeln. Plötzlich aber hielt sie abrupt inne. »Nein, nein!« Amelia hatte sich ihr Retikül und das Umschlagtuch geschnappt und wollte gerade an ihrer Mutter vorbeieilen - da winkte diese sie gebieterisch zurück. »Halt. Erst mal möchte ich dich noch einmal ansehen.«
Amelia grinste und blieb gehorsam stehen. Graziös schob sie die Schnüre ihres Retiküls über ihr Handgelenk, legte sich den breiten Schal um die Schultern, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, hob stolz den Kopf und vollführte eine kleine Pirouette. Dann schaute sie Louise an.
Diese nickte zustimmend. »Ich hatte mich schon lange gefragt, wann du dieses Kleid wohl endlich mal tragen würdest. Die Farbe steht dir.«
Amelia gab ihre Pose auf und eilte zur Tür. »Ich weiß.« Damit küsste sie ihre Mutter flüchtig auf die Wange. »Danke, dass du es mir geschenkt hast.« Sie trat in die Halle hinaus und rief mit einem raschen Blick über die Schulter: »Ich muss mich beeilen - will ja nicht zu spät kommen. Gute Nacht!«
Louise sah ihrer Tochter mit liebevollem Blick nach, auf den Lippen ein leichtes Lächeln. Als Amelia die Treppe hinunter verschwunden war, seufzte sie leise: »Du musst dich beeilen, richtig... aber du willst offenbar auch keine Gelegenheit auslassen, um Luc Ashford zu zeigen, wie hübsch du bist... ich weiß. Gute Nacht, mein Schatz, und viel Glück. Denn das kannst du bei dem Mann wirklich gebrauchen.«
Herausgeputzt mit einem eleganten schwarzen Gehrock, schwarzen Hosen, elfenbeinfarbenem Halstuch und seidener Weste stand Luc in der Eingangshalle seines Hauses und blickte zum oberen Treppenabsatz hinauf. Dort versammelten sich gerade seine Mutter, seine Schwestern und Fiona - natürlich ebenfalls allesamt für den bevorstehenden Abend geschmückt. Hinter sich hörte Luc, wie Cottsloe die Haustür öffnete. In der Annahme, dass der Butler wohl nur nachsehen wolle, ob die Kutsche bereits vorgefahren sei, drehte Luc sich nicht um.
Dann hörte er Cottsloe ergeben murmeln: »Guten Abend, Miss.« Kurz darauf ertönte Amelias fröhliche Erwiderung.
Luc wirbelte herum und sandte im Stillen ein kurzes Stoßgebet zum Himmel empor, dankbar, dass Amelia endlich angekommen war und -
Es raubte Luc regelrecht den Verstand, alle Gedanken schienen mit einem Mal zum Stillstand zu kommen, als er sie zunächst nur flüchtig musterte und dann wie gebannt auf ihr Kleid starrte.
Amelia war eine fast schon überirdisch schöne Erscheinung, die nicht nur seine Sinne verwirrte, sondern auch sein rationales Denkvermögen schlagartig zum Erliegen brachte. Sein Kopf schien plötzlich leer, genauso leer wie sein Gesichtsausdruck, als er Amelia mit den Augen geradezu zu
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