Küsse im Morgenlicht
endlich irgendwann vor dem unten am Fluss gelegenen Haus der Carstairs anhielten.
Die Familie besaß zwar auch ein riesiges Herrenhaus in Mayfair, hatte sich aber dazu entschieden, für diese sommerliche Abendgesellschaft lieber ihr kleineres Anwesen zu verwenden, dessen weitläufige Gärten sich bis hinunter zum Fluss erstreckten.
In der Eingangshalle begrüßten Luc und seine Begleiterinnen zuerst ihre Gastgeberin und mischten sich dann unter die anderen Gäste, die sich in dem großen Empfangssalon verteilten, der die gesamte Länge des Hauses einnahm. Die Rückwand des Salons bestand aus mehreren Fenstern und einer Flügeltür, die an diesem Abend weit offen stand, und durch die man in die Gärten hinabgelangte. Jene Gärten, die zur Feier des Abends in eine Art verwunschenes Feenland verwandelt worden waren, mit Hunderten kleiner Lampions, die in den Bäumen hingen oder an Seilen zwischen langen Zierstangen baumelten. Eine leichte Brise vom Flussufer her ließ die Laternen leicht hin und her pendeln, und flüchtige Schatten tanzten über das Gras.
Nicht wenige der Anwesenden waren bereits der Einladung in den märchenhaft beleuchteten Garten gefolgt. Luc wandte den Blick von der Schar der Gäste ab und schaute Amelia an - und entschied augenblicklich, dass auch sie beide unbedingt einen kleinen Spaziergang durch das parkähnliche Gelände unternehmen mussten. In der hell erleuchteten Eingangshalle von Lucs Haus hatte Amelia bereits regelrecht hinreißend ausgesehen; hier aber im Schein der Kronleuchter schien sie… die köstlichste Beute zu sein, die ein ausgehungerter Wolf sich nur irgend wünschen konnte.
Und es gab hier wahrlich ein ganzes Rudel hungriger Wölfe.
Im Stillen einen herzhaften Fluch ausstoßend, packte Luc Amelias Ellenbogen und schaute sich flüchtig einmal nach seinen Schwestern um. Seit deren offizieller Einführung in die Londoner Gesellschaft - die im Übrigen ein großer Erfolg gewesen war - hatte Lucs Beschützerinstinkt zwar nicht direkt nachgelassen, aber er beobachtete seine Schwestern und deren Verehrer nun immerhin etwas weniger auffällig. Emily hatte sich gut in das gesellschaftliche Leben der jungen Erwachsenen eingefunden; Anne dagegen, die schon immer die Stillere der beiden gewesen war, war noch immer recht zurückhaltend. Luc war durchaus wohl dabei, die beiden jetzt erst einmal sich selbst zu überlassen, und auch um Fiona, die natürlich stets in der Nähe seiner Schwestern blieb, machte er sich keine Sorgen.
Später würde er den dreien dann noch genug Zeit widmen.
»Lass uns in den Garten gehen.« Und obwohl er Amelia nicht angesehen hatte, ahnte er doch deren intensiven Blick und ihre unterschwellige Belustigung.
»Wie du möchtest.«
Nun endlich warf er ihr einen raschen Seitenblick zu; das Lächeln, das bereits leise durch ihre Stimme hindurchgedrungen war, spielte nun ganz unverhohlen über ihre leicht emporgeschwungenen Lippen. Die Versuchung, ihr dieses neckende Lächeln sofort von den Lippen zu stehlen, war erschreckend mächtig. Nur mühsam konnte Luc den Impuls unterdrücken, sie nun vor aller Augen zu küssen. Mit einem knappen Nicken in Minervas Richtung - die sich bereits mit ihren Busenfreundinnen auf einer Chaiselongue niedergelassen hatte - und einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht dirigierte er Amelia durch den Empfangssaal.
Um zu den Türen zu gelangen, durch die man in den Garten treten konnte, mussten sie notgedrungen den gesamten Saal durchschreiten. Und dieses Unterfangen dauerte eine geschlagene halbe Stunde, denn es traten ihnen unablässig irgendwelche Damen und deren Begleiter in den Weg, wobei die Damen stets den einen oder anderen Kommentar über Amelias Kleid von sich gaben. Manche machten ihr ehrliche Komplimente, andere dagegen schalten sie offen, wie sie es nur wagen könne, ein solches Kleid zu tragen. Die Herren waren nicht weniger verwirrt über Amelias Erscheinung, zollten ihr im Allgemeinen aber nur ehrliche Bewunderung - zumeist sogar ganz ohne Worte.
Als Amelia und Luc endlich ihre Freiheit wiedererlangten und vor den Terrassentüren standen, war Lucs sonst so gelassene Maske einem anhaltend mürrischen Ausdruck gewichen... oder zumindest erschien es Amelia so. Sie erahnte das Ausmaß und die Tiefe seiner Emotionen, spürte, wie es ihn zunehmend mehr Kraft kostete, sein Temperament zu zügeln.
Und sie grübelte darüber nach, wie sie das Feuer in ihm noch weiter anfachen könnte.
»Oh, wie hübsch!« Amelia trat hinaus
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