Küsse im Morgenlicht
aber übersah er geflissentlich die hellhaarige Schönheit an seiner Seite, Amelia.
Die Sonne kletterte immer höher am Himmel empor; die Temperatur stieg. Das kulinarische Angebot Ihrer Gnaden wurde mit großem Genuss verzehrt, ebenso wie der Wein, der zu der Mahlzeit gereicht wurde.
Nachdem die Gäste dann schließlich ihren leiblichen Hunger gestillt hatten, machten sich die jüngeren der bunt gemischten Schar daran, die berühmte Grotte unten am See zu erkunden - Luc hatte so etwas in der Art schon vorausgesehen. Ihre Mütter hingegen hatten nur ein einziges Bedürfnis: auf ihren schattigen Plätzchen zu verweilen und sich gegenseitig mit zwangloser Plauderei zu unterhalten. Folglich fiel Reggie und einer Horde begeisterter junger Männer die Aufgabe zu, den Schwarm von kichernden Mädchen über den Rasen und unter den Bäumen hindurch zu eskortieren, sie auf einem kleinen Spaziergang um den See zu begleiten und sie schließlich in die kleine Grotte zu führen.
Luc brauchte unterdessen nicht ein einziges Wort zu sagen. Alles, was er tun musste, war, auf den Moment zu warten, in dem seine Mutter und Louise ihre Blicke zu ihm und Amelia hinüberschweifen ließen - Minervas Sohn und Louises Tochter waren an einem der etwas abseits der Hauptgruppe platzierten Tische sitzen geblieben. Die kichernden Mädchen hatten sich unterdessen zu einer überaus farbenfrohen kleinen Gruppe zusammengefunden und eilten mit hüpfenden Sonnenschirmchen durch die Grünanlagen. Vereinzelt sah man inmitten des Gedränges auch einige wenige dunkle Gehröcke.
Schließlich blickte Minerva ihren Sohn mit hochgezogenen Brauen an. Louise hingegen schaute lediglich leicht amüsiert drein.
Und als ob er einem geheimen Zeichen seiner Mutter folgte, setzte Luc die gelangweilteste Miene auf, zu der er nur irgend fähig war, schaute Amelia an und erklärte: »Komm - wir sollten uns den anderen besser anschließen.«
Sie war die Einzige, die nahe genug bei ihm saß, um den Ausdruck in seinen Augen deuten zu können und um zu begreifen, dass er sich in Wahrheit nichts weniger wünschte, als nun den Anstandswauwau für die junge Schar spielen zu müssen. Seinen Blick fest erwidernd, reichte Amelia ihm die Hand: »Gerne. Ich bin mir sicher, die Grotte muss ein ganz wunderbares Erlebnis sein.«
Luc entgegnete nichts, sondern stand schweigend auf und half Amelia, sich von ihrem Gartenstühlchen zu erheben. Die Sonne brannte nun regelrecht auf sie herab, und er musste es seiner Begleiterin wohl oder übel erlauben, dass diese ihren Sonnenschirm aufspannte. Dann machten sie sich Seite an Seite und mit einem gewissen Abstand zu den Vorauseilenden daran, der lärmenden Horde zu folgen.
Im Stillen überlegte Luc, ob wohl noch mehr Gäste außer Louise den fragenden Blick seiner Mutter verstanden hatten. Denn in Wahrheit machte Minerva sich natürlich nicht die geringsten Sorgen um ihre Töchter; nein, sie fragte sich eher, was Luc nun vorhatte. Schließlich konnte sie nicht wissen, dass dieser bereits einen regelrechten Schlachtplan ausgearbeitet hatte, und grübelte darum verwundert darüber nach, ob …
Aber Luc hatte keineswegs vor, seine Mutter von ihren brennenden Fragen zu erlösen. Es gab nun einmal gewisse Dinge, die selbst eine Mutter nicht zu wissen brauchte.
Das Gartengrundstück wurde umschlossen von einem Gürtel aus dichtem Wald. Und hinter diesem Wald lag unter einem tiefblauen Himmel glatt und glitzernd der See. Sobald Amelia und Luc das schattige Reich unter den Bäumen betreten hatten, ließ er die Hände in die Taschen seines Rocks gleiten und verlangsamte seinen Schritt; den Blick hielt er unterdessen weiterhin fest auf die vor ihm dahineilende Gruppe gerichtet.
Amelia sah zu ihm auf und passte sich seinem Tempo an. »Ich bin noch nie in dieser Grotte gewesen. Lohnt es sich denn wirklich, dass man sie sich ansieht?«
»Heute jedenfalls nicht.« Luc deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf die laut schwatzende Horde. »Denn du kannst davon ausgehen, dass die da die Grotte bereits komplett für sich in Beschlag nehmen werden.«
Der Abstand zwischen den jungen Leuten und ihren Verfolgern wurde beständig größer.
»Aber wenn dir der Sinn nach einem kleinen Abenteuer steht...« Luc warf Amelia einen flüchtigen Blick zu. »Dann gibt es da auch noch einen anderen Ort, den wir besichtigen können.«
Ruhig schaute sie ihm in die Augen. »Und wo liegt dieser Ort?«
Luc nahm ihre Hand und zog sie mit sich, zwischen den Bäumen
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