Küsse im Morgenlicht
zu bewundern. Ein verstohlener Blick jedoch verriet ihr, dass es um Lucs Mundwinkel verräterisch zu zucken begann, und sie spürte genau, wie er ihr Gesicht musterte.
»Nein, ich denke nicht, dass ich mehr Begeisterung zur Schau tragen müsste - denn damit würde ich, zumindest für meinen Geschmack, die Grenzen des Glaubhaften doch ein wenig überstrapazieren. Was nicht bedeutet«, fuhr Luc in gelassenem Tonfall fort, als Amelia mit wütend funkelnden Augen und einem erbosten Kommentar auf den geöffneten Lippen zu ihm herumfuhr, »dass es unglaubwürdig wäre, wenn ich zeige, dass ich meine Zeit gerne in deiner Gesellschaft verbringe.« Er schaute sie fest an. »Aber die Vorstellung, dass ich nun vor lauter Freude gleich wie ein schmachtender Milchbubi oder ein völlig vernarrtes, sabberndes junges Hündchen um deine erlauchten Füßchen tänzeln soll, also, das wäre dann wohl doch ein klein wenig übertrieben.« Betont gleichgültig hob er eine seiner schwungvollen, nachtschwarzen Brauen. »Oder siehst du das etwa anders?«
Amelia konnte sich nicht erinnern, Luc jemals als einen unausgegorenen Jüngling erlebt zu haben - geschweige denn, dass er sich wie ein völlig vernarrtes Hündchen benommen hätte. Im Gegenteil - seit Luc in die Londoner Gesellschaft eingetreten war, hatte er sich immer genauso gegeben wie auch in diesem Augenblick. Er schien stets etwas über den Dingen zu stehen, trug seine gewohnt gelangweilte, fast blasierte Miene zur Schau, wirkte unnahbar und kühl. Ganz so, als ob unter seiner eleganten Kleidung ein eiserner Panzer läge, der den Mann aus Fleisch und Blut von der Außenwelt abgrenzte, ihn geschickt verbarg.
Amelia musste Luc also widerwillig zustimmen; zu einem Lächeln aber konnte sie sich nicht auch noch durchringen. Mit einem hochmütigen Nicken wandte sie den Kopf von ihm ab.
Nur unter Aufbietung all seiner Selbstbeherrschung schaffte Luc es, nicht offen über das ganze Gesicht zu grinsen. Sanft schlang er die Finger um Amelias Handgelenk, streichelte sie kurz und legte ihre Hand dann auf seinen Arm. »Komm. Wir sollten ein bisschen umherschlendern.«
Während sie sich also mal zu dieser und mal zu jener Gruppe von Gästen gesellten, unterzog Luc die Anwesenden im Geiste einer strengen Musterung. Es gab nur wenige, die ihm das Wasser reichen konnten. Ein oder zwei ältere Gentlemen, wie zum Beispiel Colonel Withersay, versuchten, die Aufmerksamkeit einer hübschen Witwe zu erringen. Der Rest bestand fast ausschließlich aus milchgesichtigen Jungen, die von ihren Müttern zu dieser Gesellschaft geschleift worden waren - und die mit vor Aufregung hochroten Wangen wirres Zeug stotterten, während sie einer jungen Dame das Handtäschchen halten durften, damit diese ihr Schultertuch wieder zurechtziehen konnte. Die Ehemänner der anwesenden Damen waren allesamt nicht mitgekommen. Aber das hatte auch niemand ernsthaft erwartet. Schließlich neigte die Ballsaison sich ihrem Ende entgegen, sodass die Aufmerksamkeit der Wölfe sich wieder auf andere Gebiete der Unterhaltung verlagert hatte. Genau genommen bezweifelte Luc sogar, ob seine Artgenossen überhaupt schon die Augen aufgeschlagen hatten. In jedem Fall hatten sie sich mit Sicherheit noch nicht aus den Betten erhoben... welches Bett auch immer sie in der vergangenen Nacht mit ihrer Anwesenheit beehrt haben mochten.
Schließlich ließ Lady Hartington ein feines Glöckchen erklingen, und die Gäste versammelten sich auf dem Rasen, wo auf Böcken stehende Tische ein üppiges Arrangement an kulinarischen Genüssen darboten. Luc geleitete Amelia zum Büfett hinab und war ihr mit seiner für ihn so typischen, zurückhaltenden Eleganz dabei behilflich, ihren Teller mit einer Auswahl kleiner Köstlichkeiten zu bestücken, während er seinen eigenen Teller randvoll füllte. Natürlich blieb er die ganze Zeit über dicht neben Amelia und behielt auch seinen Ausdruck resignierter Langeweile bei, bemühte sich dann aber - nachdem Reggie ihm aus schmalen Augen einen überaus misstrauischen Blick zugeworfen hatte - schließlich doch noch darum, die eine oder andere freundliche Bemerkung mit den anderen Gästen an ihrem Tisch auszutauschen.
Unterdessen versuchte Luc, den anwesenden Anstandsdamen, die aus nachvollziehbaren, ganz einfachen Gründen gar nicht mehr den Blick von ihm abwenden konnten, auf keinen Fall den Eindruck zu vermitteln, als wollte er sich etwa einer der unschuldigen jungen Damen auf diesem Gartenfest nähern. Vor allem
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