Küsse im Morgenlicht
Ende des Ballsaales in einem dunklen kleinen Alkoven; genau an jener Stelle, wo ein schmaler Gang in den Hauptraum des Erdgeschosses führte. Es schien unter den gegebenen Umständen also nur normal, wenn er die Arme um sie legte und sie fest an sich drückte.
Unterdessen stoben die Gedanken in seinem Kopf wild durcheinander. Er versuchte verzweifelt, eine vernünftige Begründung dafür zu formulieren, warum er ihre Verführung noch ein Weilchen aufschieben müsste - eine Begründung, die Amelia auch als solche akzeptieren würde. Luc brauchte einfach noch etwas Zeit, um sich darüber klar zu werden, was besagte Verführung für ihn bedeutete. Oder besser: Was sie ihm bedeuten würde, wenn der Augenblick denn endlich gekommen wäre. »Es ist doch nun erst gerade mal zehn Tage her, seit ich dir ganz offiziell den Hof mache. Eine... ausgewachsene Verführung wäre also wohl wirklich noch ein wenig übereilt.«
Amelia lachte und lehnte sich gegen seine Brust, das Gesicht zu ihm emporgewandt. »Aber warum denn? Wie lange nimmst du dir denn normalerweise Zeit, ehe du eine Dame ins Bett lockst?«
» Das ist jetzt eindeutig nicht der entscheidende Punkt.«
»Du hast Recht.« Ihre sanft lächelnden Augen blieben weiterhin fest auf ihn gerichtet. »Aber wer würde es denn schon erfahren, wenn wir uns endlich einander hingeben? Ich werde sicherlich nicht gleich hektische rote Flecken bekommen oder mich in ein albernes, wild daherplapperndes Ding verwandeln oder sonst irgendetwas Dummes tun, das die anderen darauf aufmerksam machen könnte, was zwischen uns beiden vorgegangen ist.«
Doch Luc machte sich gar keine Sorgen darum, dass Amelia sich womöglich verändern könnte. Nein, er sorgte sich, dass womöglich er derjenige war, der sich verändern würde. Er sorgte sich um den eventuellen Kontrollverlust, darum, dass er noch immer nicht verstand, was genau ihm diese Intimität mit Amelia nun eigentlich bedeutete, und nicht zuletzt quälte ihn auch der Gedanke an das nur allzu primitive Verlangen, das Amelia regelmäßig in ihm zu erwecken wusste. Und genau jenes Verlangen brachte ihn ja bereits in diesem Augenblick und auf einem öffentlichen Ball fast schon zum Erliegen; brachte ihn dazu, Amelias Plänen lieber jetzt als gleich zustimmen zu wollen. Luc spürte das dringende Verlangen danach, Amelia endlich unter sich zu fühlen. Er wollte sehen, wie sie sich ihm hingab - er wollte sie.
Und doch war dieses Gefühl so ganz anders als alle anderen Empfindungen, die er jemals für eine Frau gehabt hatte. Diese Emotionen, die Amelia in ihm wachrief, waren um ein Vielfaches stärker, um ein Vielfaches bezwingender. Das Begehren, das ihn in Amelias Arme trieb, hatte eine Macht über ihn, wie noch kein Verlangen ihn jemals hatte befehligen können.
Er schaute Amelia in die Augen. »Glaub mir, wir müssen deine endgültige Verführung noch mindestens weitere zehn Tage aufschieben.«
Sie lauschte seinen Worten. Noch genauer aber achtete sie auf seinen Ton. Luc sprach hart und skrupellos - seine Stimme klang höchst entschlossen. Dennoch hatte er immerhin über das Thema gesprochen, und er hatte nicht versucht, sie mit diktatorischer Geste einfach zum Einlenken zu zwingen. Obwohl genau dieses Verhalten, das Befehlen, die übliche Art und Weise war, wie er mit Frauen umzugehen pflegte. Dessen war Amelia sich wohl bewusst. Aber seine Sichtweise zu erklären, selbst wenn dies nur in so bescheidenem Ausmaß geschah wie gerade eben - das war, wie gesagt, für gewöhnlich eben nicht seine Art. Was wiederum auch nur wenig überraschend war, wenn man bedachte, wie wenig Übung er darin erst besaß. Und dennoch hatte er es versucht. Er hatte sich darum bemüht, sie von der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit zu überzeugen, statt einfach nur darauf zu bestehen, dass Amelia sich seinen Bedingungen fügte.
Also behielt sie ihr freundliches Lächeln bei und sah ihn weiterhin aufmerksam an. »Das hieße dann ja noch über eine Woche?« Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, glaubte nicht, dass es noch so lange dauern würde. Nach ihren letzten Intermezzi zu urteilen, besonders jenem in Georginas Obstgarten und diesem unerwartet verräterischen Kuss auf dem Rückweg zu deren Villa, war Amelia guten Mutes gewesen, dass die Dinge zwischen ihr und Luc sich letztendlich doch noch genauso entwickeln würden, wie sie es sich von Anfang an erhofft hatte. Wie sie es sich erträumt hatte. Denn er sah sie doch ganz eindeutig als Frau -
Weitere Kostenlose Bücher