Küsse im Morgenlicht
aufmunternden Reaktionen sämtlicher maßgeblicher Anstandsdamen in der vergangenen Woche waren wohl Beweis genug -, noch lange nicht von seiner einmal gesetzten Frist abbringen lassen.
Aber Amelia hatte auch gar nicht vor, es in diesem Punkt mit ihm auf einen Streit ankommen zu lassen. Solange es dabei blieb, dass sie noch im Juni heirateten, wären ihre Vorstellungen von einer Traumhochzeit ja immer noch erfüllt.
Nichtsdestotrotz stand das Datum ihrer Hochzeit, zumindest für Amelia, in keinerlei zwingendem Zusammenhang mit der Weiterentwicklung ihrer intimen Beziehung. Letzte durfte Erstem durchaus vorausgehen... wie es in der Wirklichkeit ja ohnehin meist der Fall war. Amelia und Luc hatten ihre Entscheidung getroffen, die gesamte bessere Gesellschaft hatte ihre Zustimmung signalisiert, und solange sie beide den Grad ihrer Vertrautheit miteinander nun nicht gerade öffentlich verkündeten, würden weder ihre gesellschaftlichen Kreise noch ihre Familien auch nur mit der Wimper zucken, wenn Luc und Amelia die Reihenfolge von Hochzeit und Intimität ein wenig umkehrten.
Und das wusste auch Luc; daran hegte Amelia keinen Zweifel. Oder zumindest würde ihm dies klar werden, wenn er sich nur endlich erlaubte, die ganze Lage einfach einmal schlicht und nüchtern zu betrachten. Aber eine unparteiische Position war für ihn, der hin und her gerissen war zwischen Instinkt und Begehren, im Augenblick offenbar nicht möglich.
Folglich lag die Aufgabe, die Entwicklung langsam wieder etwas zügiger voranzutreiben, ganz allein in Amelias Händen. Es lag nun an ihr, die von allen abgesegnete Brautwerbung endlich zu einem befriedigenden Ende zu führen. Oder, um es mit Lucs Worten auszudrücken: Nun musste sie dafür sorgen, dass sie schließlich auch noch die letzte Szene ihres Textbuchs in Angriff nahmen. Jene Szene, vor der Luc unerwarteterweise plötzlich zurückscheute. Wäre Amelia sich nicht so sicher gewesen, dass er sie wirklich und ehrlich begehrte - dass er sie genauso sehr wollte, wie sie auch ihn wollte -, dann hätte sie diese Aufgabe zweifellos nicht mit jener ruhigen Gewissheit angehen können, von der sie nun erfüllt wurde.
»Da ist es.«
Lucs knappe Ankündigung riss sie aus ihren Gedanken. Amelia blickte auf und erkannte über den Baumwipfeln die Zwillingstürme von Hightham Hall. Die Straße dorthin war eingefasst von einer niedrigen steinernen Mauer, und ein kleines Stückchen weiter voraus passierten sie zwei weit geöffnete Torflügel. Luc ließ seine Pferde in die Auffahrt einbiegen, und schon fuhren er und Amelia über den mit Kies bestreuten Hauptweg und beobachteten mit bewundernden Blicken, wie das weitläufige Gebäude immer näher zu rücken schien.
Der Butler, die Stallburschen und die Pferdeknechte standen alle schon bereit. Eine andere Kutsche hatte soeben ihre Fahrgäste abgesetzt und fuhr, als Luc und Amelia das Haus erreichten, bereits rumpelnd wieder davon. Sofort kam einer der Pferdeknechte auf die Karriole zugerannt und packte das Zaumzeug der beiden Grauschimmel; unterdessen reichte Luc einem anderen der Knechte die Zügel und sprang gewandt vom Kutschbock hinunter.
Dann drehte er sich um und hob Amelia von seinem Gefährt. Für einen kurzen Augenblick, während Lady Highthams Bedienstete geschäftig um sie herumhuschten, die Taschen aus dem kleinen Verschlag der Karriole zerrten und diese ins Innere des Hauses trugen, hielt Luc Amelia in seinen Armen. Und er hielt sie sehr fest und ein kleines bisschen näher, als der Anstand es erlaubte - also gerade dicht genug, dass Amelia die physische Reaktion spüren konnte, die unverkennbar erotische Spannung, die zwischen ihnen beiden zu knistern schien. Doch mit diesen Empfindungen schien sie dieses eine Mal allein zu sein; denn Luc schenkte ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit. Mit leicht mürrisch verzogener Miene blickte er sie an.
»Wir haben uns doch wohl hoffentlich geeinigt, nicht wahr?«, fragte er und sah ihr eindringlich in die Augen. »Keine weiteren Fortschritte mehr auf unserem Weg für mindestens die nächsten sieben Tage.«
Mit einem strahlenden Lächeln sah Amelia zu ihm auf. Wären sie allein gewesen, so hätte sie sich nun an ihn gekuschelt und seine Sorgen einfach fortgeküsst. Und darum war es vielleicht auch ganz gut, dass sie nun von Gästen und Bediensteten geradezu umzingelt waren... sodass sie nun einfach nur die Hand hob und sanft Lucs Wange streichelte. »Ich hab es dir doch schon einmal gesagt. Hör auf,
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