Küsse im Morgenlicht
zu schenken, nach der er sich schon regelrecht verzehrte. Zumal dieses Anwesen hier weder Amelia gehörte noch ihm, und seine zukünftige Frau - dank der Anwesenheit von deren Mutter - auch nicht explizit allein unter seinem Schutz stand.
Erst in diesem Augenblick in der Bibliothek der Highthams begriff Luc, wie stark sein Verlangen nach Amelia geworden war.
Und sie neckte ihn damit auch noch!
Mit geschlossenen Augen vergegenwärtigte er sich noch einmal alles, was sie ihm zu diesem Thema versprochen hatte, hörte im Geiste abermals den entspannten Unterton in ihrer Stimme, als sie versucht hatte, ihn zu beruhigen.
Doch Luc traute ihr einfach nicht. Er hatte sie genau beobachtet. Und vom heutigen Abend an wollte er auf der Hut vor ihr sein.
Im nächsten Moment verzog er das Gesicht auch schon zu einer Grimasse und rutschte verstohlen in seinem Sessel hin und her. Er litt wahrhaft körperliche Qualen. Auf der einen Seite fieberte Luc natürlich bereits ungeduldig darauf hin, Amelia endlich ganz zu der seinen zu machen; auf der anderen Seite aber versuchte er verzweifelt, das Tempo zu drosseln, und kämpfte darum, jenen ersehnten Moment noch ein Weilchen hinauszuzögern. Hätte ihm jemals irgendjemand vorhergesagt, dass er eines Tages noch einmal so vehement gegen seine eigene Natur arbeiten würde... nun, er hätte demjenigen wohl offen ins Gesicht gelacht.
Die Tür wurde geöffnet. Der hochmütige Butler von Hightham Hall schaute herein, entdeckte Luc, trat in die Bibliothek und schloss die Tür hinter sich. Er marschierte quer durch den Raum und streckte Luc sein Silbertablettchen entgegen. »Für Euch, Mylord. Man hat mir gesagt, es wäre dringend.«
Zum Zeichen des Dankes nickte Luc einmal knapp und nahm das gefaltete Stückchen Papier auf. Der Mann hatte sehr leise gesprochen; keiner der schlafenden Herren um ihn herum war geweckt worden. Die beiden eifrig diskutierenden Gentlemen sahen kurz auf, widmeten sich dann aber sogleich wieder ihrem Gespräch. Der Butler verbeugte sich und zog sich wieder zurück. Luc legte die Zeitung beiseite und entfaltete die Nachricht.
Luc - Bitte komm sofort zu meinem Zimmer.
A.
P.S.: Es liegt in der ersten Etage ganz am Ende des Westflügels und direkt neben dem obersten Absatz der Dienstbotentreppe.
Luc runzelte die Stirn, las die Nachricht noch einmal. Dann faltete er sie wieder zusammen und ließ sie in seine Tasche gleiten.
Er traute ihr nicht, und dennoch... Zumal Amelia sich in der kurzen Zeit, die seit ihrer Ankunft verstrichen war, doch noch nicht einmal richtig eingerichtet haben konnte. Vielleicht klemmte ja das Schloss an ihrer Kleidertruhe. Nein, es musste wohl schon etwas Ernsteres sein. Womöglich hatte sie ihr Schmuckkästchen verlegt. Vielleicht. Und vielleicht befand sie sich ja sogar in wirklich ernsten Schwierigkeiten.
Luc unterdrückte einen Seufzer und erhob sich. Welcher Anlass auch immer hinter ihrer kurzen Notiz stecken mochte, offenbar brauchte sie nicht irgendjemanden, der ihr half, sondern speziell ihn. Im Übrigen hatte die Nachricht - hastig hingekritzelt mit einem einfachen Stift auf ein Stückchen Papier - nur wenig Ähnlichkeit mit einer verbotenen Einladung. Mit einem kurzen Nicken in Richtung der einzigen beiden wachen Herren verließ Luc die Bibliothek.
Nach kurzem Suchen fand Luc die Treppe am Ende des Westflügels. Außerdem war kaum jemand in den Gängen unterwegs, vor dem er sich hätte verbergen müssen - die Damen befanden sich alle in ihren Zimmern, wühlten in ihren Habseligkeiten, packten ihre Reisetruhen aus und trieben ihre Zofen wahrscheinlich gerade zur Verzweiflung.
Rasch stieg Luc die Treppe empor und fand auch sogleich die richtige Tür. Ganz leise klopfte er an.
Kurz darauf hörte er sie rufen: »Herein.«
Luc öffnete die Tür. Amelias Zimmer war angenehm geräumig, und durch zwei große Fenster - die Vorhänge waren jeweils weit zur Seite gezogen - strömte das Sonnenlicht herein. Linker Hand stand ein Bett; ein großes Himmelbett mit schimmernden, durchsichtigen Vorhängen, die gegenwärtig aber straff an den vier Pfosten festgebunden waren. Die Tagesdecke war aus mit Blütenzweigen besticktem, elfenbeinfarbenem Satin gearbeitet. Am Kopfende lag einladend eine Ansammlung von Kissen, die mit Spitzenborten eingefasst waren, an der Wand neben dem Bett standen eine Frisierkommode und ein kleiner Stuhl, und in der Mitte des Raumes befand sich ein kleiner runder Tisch, auf dem eine große Vase mit weißen Lilien
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